Qual (German Edition)
zwei Jahre nachdem er das Gefängnis betreten hatte, verließ er es wieder – wegen guter Führung wurden ihm vier Monate erlassen. Sie gaben ihm zwei Gefängnis-Jeans, eine Gefängnis-Jeansjacke und eine Reisetasche, um alles darin zu transportieren. Außerdem hatte er seine Gefängnis-Ersparnisse: einen Scheck über 43,84 Dollar.
Es war Oktober. Die Luft war herrlich frisch und sauber vom stürmischen Wind. Der Wärter am Tor winkte ihm zu, wedelte dabei mit der Hand hin und her wie ein Scheibenwischer und sagte ihm, er solle sauber bleiben. Ohne ihn anzusehen oder etwas zu antworten, ging Blaze an ihm vorbei.
Und als er das schwere grüne Tor hinter sich mit einem dumpfen Schlag ins Schloss fallen hörte, schüttelte es ihn.
Er ging, bis die Bürgersteige aufhörten und er die Stadt hinter sich gelassen hatte. Er guckte alles an. Autos rasten vorbei, wirkten seltsam modernisiert. Eines bremste ab, und er dachte, jemand würde ihm vielleicht eine Mitfahrgelegenheit anbieten. Dann hörte er eine Stimme brüllen: »He, KNASTVOGEL«, und der Wagen zischte ab.
Schließlich setzte er sich auf die Steinmauer, die einen kleinen Landfriedhof einfasste, und schaute einfach die Straße hinunter. Ihm dämmerte, dass er frei war. Er hatte niemanden, der ihn herumkommandierte, aber er selbst war ja auch nicht gut darin, andere herumzukommandieren, und er hatte keine Freunde. Er saß nicht mehr in Einzelhaft, hatte aber keinen Job. Er wusste nicht einmal, wie man aus dem steifen Blatt Papier, das sie ihm gegeben hatten, wieder Geld machte.
Trotzdem beschlich ihn das Gefühl einer wunderbar beruhigenden Dankbarkeit. Er schloss die Augen und drehte sein Gesicht zur Sonne, füllte seinen Kopf mit rotem Licht. Er roch das Gras und den frischen Teer eines kürzlich ausgebesserten Schlaglochs. Er roch die Abgase von Autos, die fuhren, wohin ihre Lenker fahren wollten. Vor Glück umarmte er sich selbst.
In dieser Nacht schlief er in einer Scheune, und am nächsten Tag fand er einen Job, las Kartoffeln für zehn Cent den Korb. Den Winter über arbeitete er in einer Wollspinnerei in New Hampshire, nur für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder. Im Frühjahr nahm er einen Bus nach Boston und fand einen Job in der Wäscherei des Brigham and Women’s Hospital.
Er hatte dort sechs Monate gearbeitet, als ein vertrautes Gesicht aus der South Portland auftauchte – Billy St. Pierre. Sie gingen zusammen aus und luden sich gegenseitig zu vielen Bieren ein. Billy vertraute Blaze an, dass er und ein Freund einen Spirituosenladen in Southie überfallen würden. Der Laden war ein Klacks. Einer, sagte er, könne noch mitmachen.
Blaze war dabei. Sein Anteil betrug siebzehn Dollar. Er arbeitete weiter in der Wäscherei. Vier Monate später nahmen er, Billy und Billys Schwager Dom in Danvers eine Tankstelle aus. Einen Monat danach überfielen Blaze und Billy und ein weiterer South-Portland-Ex namens Calvin Surks einen Geldverleih mit angeschlossenem Wettbüro im Hinterzimmer. Sie erbeuteten über tausend Dollar.
»Jetzt steigen wir ins große Geschäft ein«, sagte Billy, als die drei ihre Beute in einem Motelzimmer in Duxbury teilten. »Das ist erst der Anfang.«
Blaze nickte, ging aber weiter in der Krankenhauswäscherei arbeiten.
Eine Zeit lang lief das Leben so dahin. Blaze hatte in Boston keine richtigen Freunde. Seine einzigen Bekannten waren Billy St. Pierre und die Gruppe locker miteinander verbundener Schmalspurganoven, zu denen auch Billy gehörte. Wenn Blaze freihatte, hing er mit ihnen im Moochie’s ab, einem Candystore in Lynn. Sie spielten Flipper und alberten herum. Blaze hatte kein Mädchen, weder eine feste Freundin noch sonst eine. Er war schrecklich schüchtern und gehemmt wegen dem, was Billy seinen kaputten Kopf nannte. Wenn sie erfolgreich ein Ding gedreht hatten, leistete er sich manchmal eine Hure.
Ungefähr ein Jahr nachdem er sich Billy angeschlossen hatte, machte ihn ein geschwätziger Teilzeitmusiker mit Heroin bekannt – ein Schuss unter die Haut. Blaze wurde kotzübel, entweder lag es an irgendeiner Beimischung oder es war eine natürlich Allergie. Er probierte es nie wieder. Gelegentlich nahm er ein paar Züge von einem Joint oder einer Crack-Zigarette, nur um sich gesellig zu geben, aber härtere Drogen waren nichts für ihn.
Kurz nach dem Heroin-Experiment wurden Billy und Calvin (der auf nichts stolzer war als auf die Tätowierung, die da lautete: LEBEN IS SCHEISSE, DANN STIRBSTE) bei dem Versuch, einen
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