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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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natürlichen Zustand darstellte. Ich wechselte zwischen längeren Perioden der paralytischen Apathie, unterbrochen von kurzen und heftigen Alpträumen, und Augenblicken der panikerfüllten Klarheit, wenn ich wieder einmal glaubte, daß meine Eingeweide zerreißen und in einem rot-grauen Schwall aus mir hervorbrechen würden.
    Ich redete mir ein, daß ich stärker und geduldiger als die Krankheit war. Die Generationen der Bakterien kamen und gingen, und ich mußte nur ausharren. Ich mußte es nur schaffen, sie alle zu überleben.
     
    Am Morgen des zweiten Tages besuchten mich Mosala und De Groot. Sie kamen mir wie Reisende aus einer anderen Zeit vor, nachdem mein bisheriges Leben auf Stateless bereits in die tiefste Vergangenheit gerückt war.
    Mosala war offenbar über meinen Anblick schockiert. »Ich habe Ihren Rat befolgt«, sagte sie leise. »Ich habe mich gründlich untersuchen lassen. Ich bin nicht infiziert, Andrew. Ich habe mit Ihrem Arzt gesprochen. Er glaubt, daß Sie es sich vermutlich durch das Essen im Flugzeug geholt haben.«
    »Hat irgend jemand, der auf demselben Flug war…«, krächzte ich.
    »Nein. Aber es könnte sein, daß ein versiegeltes Päckchen unzureichend bestrahlt wurde. So etwas kommt vor.«
    Ich hatte nicht die Kraft, mich auf eine Diskussion einzulassen. Und diese Theorie hatte sogar etwas für sich. Ein zufälliger Versager hatte die technische Barriere zwischen der Dritten und der Ersten Welt durchbrochen und hatte vorübergehend ein Schlupfloch in der untadeligen Logik des freien Marktes geschaffen, die den billigsten Anbieter des Planeten bevorzugte, um jedes Risiko mit einer ebenso billigen Salve aus Gammastrahlen auszulöschen.
    An diesem Abend stieg meine Temperatur wieder an. Michael – der Fidschianer, der mich bei meinem ersten Erwachen begrüßt und der mir erklärt hatte, daß er ›sowohl Arzt als auch Krankenpfleger war, wenn Sie darauf bestehen, diese archaischen Begriffe hier weiterzuverwenden‹ – saß den größten Teil der Nacht an meinem Bett. Zumindest war er jedesmal leibhaftig vorhanden, wenn sich für mich wieder einmal das kurze Fenster der Klarsicht öffnete. Während der übrigen Zeit hatte ich seine Gegenwart vermutlich halluziniert.
    Vom frühen Morgen bis in den Vormittag schlief ich ganze drei Stunden durch – lange genug für meinen ersten zusammenhängenden Traum. Während ich mich zur Bewußtheit hinaufkämpfte, klammerte ich mich trotzig an das Happy End: Die Krankheit hatte ihren Lauf genommen und sich ausgetobt. Die Symptome waren verschwunden. Sogar Gina war über Nacht eingetroffen – um mich zurückzuholen, mich nach Hause zu bringen.
    Ich wurde durch einen heftigen Krampf geweckt. Bald darauf schied ich graues, schleimiges Wasser aus, keuchte obszöne Flüche und wollte sterben.
    Als am späten Nachmittag das gefilterte Sonnenlicht wie ein himmlisches Leuchten in mein Zimmer drang und ich zum tausendsten Mal geschüttelt wurde und jeden Tropfen Flüssigkeit ausschiß, der intravenös in mich hineingetröpfelt war, da hörte ich, wie ich einen klagenden Schrei ausstieß, während ich zitternd die Zähne fletschte, wie ein elender Hund, eine kranke Hyäne.
     
    Am Morgen des vierten Tages war das Fieber, fast völlig zurückgegangen. Alles, was zuvor geschehen war, kam mir wie ein anästhesierter Alptraum vor, brutal und furchteinflößend, aber zusammenhanglos – eine Traumsequenz, die durch einen Gazeschleier gefilmt worden war.
    Alles, was sich in Sichtweite befand, hatte eine gnadenlose, graue Festigkeit. Die Trennwände rings um mich herum waren mit Staub bedeckt. Die Laken waren vom getrockneten Schweiß vergilbt. Meine Haut war schleimig feucht. Meine Lippen, meine Zunge, meine Kehle waren aufgeplatzt und juckten. Sie sonderten tote Zellen und ein Sekret ab, das eher nach Salz als nach Blut schmeckte. Jeder Muskel vom Zwerchfell bis zur Leistengegend fühlte sich gezerrt, unbrauchbar und unheilbar verletzt an. Trotzdem schien jeder Muskel angespannt zu sein, wie bei einem Tier, das sich vor der nächsten Prügelattacke fürchtet. Meine Kniegelenke fühlten sich an, als hätte ich eine Woche lang auf kaltem, hartem Boden gekauert.
    Die Krämpfe setzten wieder ein. Ich hatte mich nie so klar wie jetzt gefühlt, sie waren nie so schlimm wie jetzt gewesen.
    Meine Geduld war restlos verbraucht. Ich wollte nur noch aufstehen und das Krankenhaus verlassen – und meinen Körper zurücklassen. Er sollte sich mit den Bakterien

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