Qual
zerrte man mich zu einer Kabine am anderen Ende des Schiffs. Nach einigem Betteln und Flehen erlaubte man mir, mich an die Reling zu stellen und zu pinkeln. Anschließend war ich mehrere Sekunden lang so sehr von Dankbarkeit überwältigt, daß ich bereit gewesen wäre, Violet Mosala mit bloßen Händen zu erdrosseln, wenn man es als Gegenleistung von mir verlangt hätte.
Die Kabine war mit Bildschirmen und elektronischer Ausrüstung vollgestopft. Ich war in meinem Leben noch nie auf einem Fischkutter gewesen, aber dies sah mir eindeutig nach einem technischen Overkill aus, da ein durchschnittliches Schiff vermutlich mit einem einzigen Mikrochip auskam.
Ich wurde an einen Stuhl gefesselt, der mitten in der Kabine stand. Vier Leute waren anwesend, von denen Witness bereits zwei identifiziert hatte – die Nummern drei und fünf in Kuwales Galerie. Bei den anderen beiden war Fehlanzeige. Es waren zwei Frauen etwa in meinem Alter. Ich zeichnete ihre Gesichter auf und speicherte sie ab – als Nummer neunzehn und zwanzig.
»Was war das vor einer Weile für ein Lärm?« fragte ich, ohne mich an jemand bestimmten zu wenden. »Es klang, als wären wir auf Grund gelaufen.«
»Wir wurden gerammt«, sagte Nummer drei. »Sie haben das Beste verpaßt.« Es war ein U-männlicher Weißer mit kräftigen Muskeln und tätowierten chinesischen Schriftzeichen auf beiden Unterarmen.
»Von wem?« Doch er ignorierte die Frage – ein wenig zu bewußt. Wahrscheinlich hatte er schon zuviel verraten.
Zwanzig hatte in der Kabine gewartet, während die anderen mich holten. Jetzt übernahm sie das Kommando. »Ich weiß nicht, mit welchen verrückten Ideen Kuwale Sie gefüttert hat. Zweifellos hat er uns als rasende Fanatiker dargestellt.« Sie war groß und schlank, eine Schwarze mit einem frankophonen Akzent.
»Nein, hie hat mir erzählt, Sie gehören zur gemäßigten Fraktion. Haben Sie uns nicht abgehört?«
Sie schüttelte mit einem unschuldigen Lächeln den Kopf, als wäre es selbstverständlich, daß so etwas unter ihrer Würde lag. Sie strahlte eine gelassene Autorität aus, die mich entnervte. Ich konnte mir vorstellen, wie sie den anderen Befehle erteilte und stets den Anschein der Vernünftigkeit wahrte, ganz gleich, worum es ging. »Gemäßigt, aber nichtsdestoweniger ketzerisch, versteht sich.«
»Wie möchten Sie denn gerne von den anderen AKs genannt werden?« fragte ich erschöpft.
»Vergessen Sie die anderen AKs. Sie sollten sich Ihr eigenes Urteil bilden, nachdem sie alle Fakten erfahren haben.«
»Ich denke, Sie haben Ihre Chance auf eine wohlwollende Meinung verspielt, als Sie mich mit ihrer selbstgebrauten Cholera infizierten.«
»Das waren wir nicht.«
»Nein? Wer war es dann?«
»Dieselben Leute, die Yasuko Nishide mit einem natürlichen virulenten Pneumokokken-Stamm infizierten.«
Mir lief es eiskalt über den Rücken. Ich wußte nicht, ob ich ihr glauben sollte, aber es paßte zu Kuwales Beschreibung der Extremisten.
»Filmen Sie zur Zeit?« fragte Neunzehn.
»Nein.« Es war die Wahrheit, obwohl ich ihre Gesichter abgespeichert hatte. Mit der kontinuierlichen Aufzeichnung hatte ich schon vor Stunden im Frachtraum aufgehört.
»Dann fangen Sie bitte an.« Neunzehn sah aus und klang wie eine Skandinavierin. Wie es schien, legte jede Fraktion der AK größten Wert auf Internationalität. Die Zyniker, die behaupteten, daß Menschen, die über das Net transglobale Freundschaften knüpften, sich niemals leibhaftig begegneten, hatten natürlich unrecht. Dazu war nur ein hinreichender Grund nötig.
»Warum?«
»Sie sind hier, um eine Dokumentation über Violet Mosala zu machen, nicht wahr? Wollen Sie nicht die ganze Geschichte erzählen? Bis zum bitteren Ende?«
»Wenn Mosala tot ist«, erklärte Zwanzig, »wird es natürlich einen Aufschrei geben. Dann müssen wir untertauchen. Wir sind nicht an Märtyrern interessiert – aber wir fürchten uns auch nicht davor, identifiziert zu werden, sobald diese Mission vorbei ist. Wir schämen uns nicht für das, was wir hier tun. Dazu haben wir keinen Grund. Und wir brauchen jemanden, der objektiv, vertrauenswürdig und kein Partisan ist, um unsere Version der Geschichte an die Welt weiterzugeben.«
Ich starrte sie an. Ihre Worte klangen völlig aufrichtig – und hatten sogar einen Tonfall förmlicher Entschuldigung, als würde sie mich um einen leicht unangenehmen Gefallen bitten.
Ich blickte mich zu den anderen um. Drei betrachtete mich mit einstudierter
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