Qual
werden.«
Der größte Bildschirm in der Kabine – etwa fünf Meter breit und drei hoch – erhellte sich plötzlich. Er zeigte etwas, das einem kunstvoll verwobenen Geflecht aus feinen, vielfarbigen Fäden ähnelte. Etwas Derartiges hatte ich auf der Konferenz nicht gesehen, es hatte nichts mit dem brodelnden, anarchistischen Schaum des Quantenvakuums zu tun. Es sah eher wie ein Knäuel aus leuchtendem Garn aus, das im Laufe von Jahrhunderten abwechselnd von Escher und Mandelbrot mit großer Sorgfalt aufgewickelt worden war. Es gab Symmetrien innerhalb von Symmetrien, Knoten innerhalb von Knoten, Details und Muster, die ins Auge fielen, doch insgesamt war es zu kompliziert und verworren, um irgendeinen Anhaltspunkt zu liefern.
»Das ist nicht der Prä-Raum, oder?« fragte ich.
»Wohl kaum.« Fünf warf mir einen zweifelnden Blick zu, als würde er vermuten, meine Ignoranz könnte sich als unüberwindlich erweisen. »Das ist eine sehr grobe Darstellung des Informationsraums, und zwar zum Zeitpunkt, wenn die Schlüsselfigur zur Schlüsselfigur ›wird‹. Wir bezeichnen diese Anfangskonfiguration kurz als ›Aleph‹.« Als ich nichts erwiderte, sprach er widerwillig weiter, als müßte er sich einem begriffsstutzigen Kind verständlich machen. »Betrachten Sie es als Schnappschuß vom erklärenden Urknall.«
»Das soll der Anfangspunkt für… alles sein? Die Voraussetzungen für ein komplettes Universum?«
»Ja. Warum sind Sie so überrascht? Der physikalische Urknall ist um mehrere Größenordnungen einfacher. Er läßt sich mit nur zehn Zahlen charakterisieren. Aleph enthält das Einhundertmillionenfache an Informationen. Die Vorstellung, aus dieser Formel Galaxien und DNS abzuleiten, dürfte längst nicht so abwegig klingen.«
Das war allerdings Ansichtssache. »Falls das hier den Inhalt von Violet Mosalas Gehirn darstellen soll, muß ich sagen, daß ich noch nie eine derartige zerebrale Landkarte gesehen habe.«
»Das hoffe ich doch«, erwiderte Fünf trocken. »Es ist weder ein anatomischer Scan noch eine funktionale Übersicht der Neuronenaktivitäten oder auch nur ein symbolisches kognitives Diagramm. Die Nervenzellen der Schlüsselfigur – sowie der Schädel dieser Person – existieren im Grunde ›noch‹ gar nicht. Dies ist die reine Information, die logisch der Existenz aller physikalischen Objekte vorausgeht. Das ›Wissen‹ und das ›Gedächtnis‹ der Schlüsselfigur existieren zuerst. Das Gehirn, das sie in codierter Form enthält, kommt danach.«
Er zeigte auf den Bildschirm, worauf das Garnknäuel explodierte und leuchtende Schlaufen in alle Richtungen der Dunkelheit hinausschickte. »Die Schlüsselfigur ist anfangs zumindest mit einer UT ausgestattet und sich sowohl der eigenen Existenz bewußt als auch eines Kanons aus Beobachtungen experimenteller Resultate – sei es aus eigener Erfahrung oder aus ›zweiter Hand‹ –, die in Betracht gezogen werden müssen. Falls diese Person weder über eine ausreichend hohe Informationsdichte noch ein Organisationsschema verfügt, um die eigene Existenz hinlänglich erklären zu können, würde das Ereignis unterhalb des kritischen Punktes bleiben, und kein Universum wäre impliziert. Doch wenn ein ausreichend komplexes Aleph gegeben ist, würde der Prozeß nicht aufhören, bis ein vollständiger physikalischer Kosmos geschaffen ist.
Natürlich gibt es niemals einen ›Anfang‹ oder ein ›Ende‹ des Prozesses im herkömmlichen Sinn, denn er findet gar nicht innerhalb der Zeit statt. Sukzessive Szenarien in dieser Simulation korrespondieren einfach mit einem Zuwachs der logischen Extension – wie die Einzelschritte eines mathematischen Beweises, wenn der anfänglichen Menge der Prämissen eine Reihe von Konsequenzen hinzugefügt wird. Die Geschichte des Universums ist in diese Konsequenzen eingebettet… wie die Abfolge eines Mordes, die durch reine Deduktion aus Hinwiesen am Tatort rekonstruiert wird.«
Während er sprach, wurden die Muster, die ich an der Oberfläche des ›Aleph‹ erkannt hatte, im umgebenden ›Informationsvakuum‹ entwirrt und neu verknüpft. Es war wie ein künstlerisch ausgeklügeltes Gewebe, das sich in jeder Sekunde immer wieder neu aus den tieferen Schichten bildete – als würden die Fäden von einer Million unsichtbaren Händen gezogen, um neue Kombinationen zu erschaffen. Tausende subtiler Variationen waren wie das Echo des ursprünglichen Kanons, doch es tauchten auch verblüffende neue Themen auf,
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