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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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eine Aufzeichnung vor. Eigentlich gehörte es sich nicht, in der unvollendeten Arbeit von Kollegen herumzuschnüffeln, aber wenn Reynolds etwas daran gelegen hätte, das Material unter Verschluß zu halten, hätte er es nur zu codieren brauchen.
    Ich sah mir die Szene an, als ich allein mit dem Lift des Krankenhauses fuhr – und ich spürte, wie mir dabei eiskalt wurde. Das war unmöglich. Dafür gab es keine sinnvolle Erklärung.
    Reynolds hatte drei weitere Szenen mit ›zusammenhängenden Reden‹ von Qual-Patienten archiviert. Ich schaute mir alle an und benutzte dazu den Kopfhörer des Notepads, damit ich sie mir ungestört anhören konnte, während ich durch die betriebsamen Korridore lief. Die exakten Worte waren bei allen Patienten unterschiedlich, aber die Implikationen waren völlig identisch.
    Ich wollte mich vorerst eines Urteils enthalten. Vielleicht stand ich noch unter Schock oder unter dem Einfluß der Drogen, die man mir auf dem Schiff verabreicht hatte. Vielleicht sah ich Verbindungen, die überhaupt nicht vorhanden waren.
    Als ich Akilis Bett erreichte, war hie bereits aufgewacht. Hie lächelte bedauernd, als hie mich sah – und ich wußte, daß es mich voll erwischt hatte. Es war nicht nur die Tatsache, daß sich hein Gesicht fest in mein Gehirn gebrannt hatte. Ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, mich jemals von einer anderen Person angezogen zu fühlen. Schließlich war Schönheit nur etwas äußerst Oberflächliches. Doch heine dunklen Augen zeigten eine Tiefe der Leidenschaft, des Humors und der Intelligenz, die noch kein Mensch besessen hatte, dem ich jemals begegnet war…
    Ich riß mich zusammen. Es war grotesk. Für einen totalen Asexuellen waren solche Empfindungen nur die Reaktionen eines aufgezogenen, von Hormonen angetriebenen Spielzeugs, eines bedauernswerten biologischen Roboters. Falls hie jemals erfuhr, was ich empfand… konnten meine Gefühle bestenfalls durch Mitleid erwidert werden.
    »Hast du gehört, was auf dem Flughafen geschehen ist?« sagte ich.
    Hie nickte betroffen. »Und ich habe auch von Nishides Tod gehört. Wie nimmt Mosala all dies auf?«
    »Sie ist nicht am Boden zerstört, aber ich bin mir auch nicht sicher, ob sie noch in geraden Bahnen denkt.« Ähnlich wie ich.
    Ich berichtete von unserem Gespräch. »Was glaubst du? Wenn sie am Leben erhalten werden kann, bis jemand die UT in ihrem Namen bekanntgibt – werden die Gemäßigten dann widerrufen und das Gegenmittel herausrücken?«
    Kuwale sah nicht so aus, als ob hie sich diesbezüglich große Hoffnungen machte. »Vielleicht. Wenn es einen klaren Beweis gibt, daß die UT wirklich abgeschlossen wurde, ohne daß noch irgendwelche Zweifel bestehen. Aber wenn sie jetzt auf der Flucht sind, können sie nichts mehr herausrücken.«
    »Sie könnten immer noch die Strukturformel des Moleküls übermitteln.«
    »Ja. Und dann bleibt uns nur noch die Hoffnung, daß es eine Maschine auf Stateless gibt, die es rechtzeitig synthetisieren kann.«
    »Wenn das gesamte Universum nur ein Komplott ist, um die Schlüsselfigur zu erklären, müßte sie eigentlich Glück haben.« Ich glaubte kein Wort von dem, was ich sagte, aber ich hatte das Gefühl, es war genau das, was ich sagen sollte.
    »Die Erklärung des Aleph-Moments schließt keine wundersamen Rettungen ein. Es gibt keinen zwingenden Grund, daß Mosala die Schlüsselfigur ist – auch wenn Nishide tot ist und Buzzos UT widerlegt wird. Wenn sie überlebt, heißt das nur, daß die Leute, die sie retten wollten, härter gekämpft haben als die Leute, die sie töten wollten.« Hie lachte erschöpft. »Genau das bedeutet eine Universal-Theorie: Es gibt keine Wunder, nicht einmal für die Schlüsselfigur. Jeder lebt und stirbt nach exakt denselben Regeln.«
    »Ich verstehe.« Ich zögerte. »Ich muß dir etwas zeigen. Neuigkeiten über Qual.«
    »Qual?«
    »Tu mir den Gefallen und schau es dir an. Vielleicht hat es nichts zu bedeuten, aber ich muß wissen, was du davon hältst.«
    Ich war Reynolds gegenüber moralisch verpflichtet, seine unveröffentlichten Aufnahmen nicht überall herumzuzeigen. Der Krankensaal war voll, aber auf beiden Seiten befanden sich Trennwände, und der Mann im schweren Verband im gegenüberliegenden Bett schien zu schlafen. Ich reichte Kuwale mein Notepad und ließ es eine der Aufzeichnungen mit geringer Lautstärke abspielen.
    Eine blasse, mitgenommene Frau mittleren Alters mit langem schwarzen Haar, die an ein Krankenhausbett gefesselt war,

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