Qual
wandte dem Zuschauer das Gesicht zu. Sie wirkte nicht durch Medikamente benebelt und zeigte keine der typischen Verhaltensweisen der Krankheit – aber sie starrte Reynolds mit angestrengter, entsetzter Faszination an.
Sie sagte: »Dieses Informationsmuster, dieser Bewußtseinszustand und diese Fähigkeiten zur Wahrnehmung hüllen sich in immer neue Schichten aus Korollarien: Neuronen, die die Informationen codieren, Blut, das die Neuronen nährt, ein Herz, das das Blut pumpt, Eingeweide, die es anreichern, ein Mund, der die Eingeweide versorgt, Nahrung, die hindurchgeht, Felder mit Nutzpflanzen, Erde, Sonnenlicht, Billionen Sterne.« Ihr Blick wanderte, während sie sprach, und tastete immer wieder Reynolds Gesicht ab. »Neuronen, das Herz, Innereien, Zellen mit Proteinen und Ionen und Wasser, in Lipidmembranen gehüllt, Gewebe, das sich differenziert entwickelt, Gene, die durch Hormon-Gradienten reguliert werden, eine Million ineinanderpassende Molekülformen, vierwertiger Kohlenstoff, einwertiger Wasserstoff, Elektronen, die in Bindungen zwischen Kernen aus Protonen gehalten werden, mit Neutronen, um die elektrostatische Abstoßung auszugleichen, Quarks, mit beiden Arten von Spin, als Gegenstück zu den Leptonen in der Hierarchie der Quantenzustände, eine zehndimensionale Mannigfaltigkeit, um sie zu realisieren… das Ergebnis einer Symmetriebrechung des Raumes aller Topologien.« Sie sprach immer schneller. »Neuronen, ein Herz, Innereien, die Morphogenese, die rückwärts zu einer einzigen Zelle konvergiert, ein befruchtetes Ei in einem anderen Körper. Diploide Chromosomen, die einen getrennten Partner benötigen. Die Iteration der Vorfahren. Mutationen, die Spezies von früheren Linen abspalten, einzelliges Leben, sich selbst replizierende Fragmente, Nukleotide, Zuckermoleküle, Aminosäuren, Kohlendioxid, Wasser, Stickstoff. Eine kondensierende protostellare Wolke – reich an schweren Elementen, die in alten Sternen fusionierten, durch einen Kosmos mit instabiler Gravitation geschleudert, der in Singularitäten beginnt und endet.«
Sie verstummte, doch ihre Augen waren immer noch unruhig. Anhand der Bewegung konnte ich beinahe die Umrisse von Reynolds Gesicht rekonstruieren. Und wenn er für sie zunächst nicht mehr als eine bizarre Erscheinung gewesen war, so flackerte jetzt ein intensives Erkennen in ihrem Erstaunen auf – als würde sie ihre kosmologische Gedankenkette bis zum Extrem treiben, um auch diesen Fremden, diesen logisch notwendigen, entfernten Verwandten in das einheitliche Schema einzubinden.
Doch dann geschah etwas, das ihren knappen Mitteilungen ein Ende setzte, als plötzlich Furcht und Schrecken ihre Züge verzerrten. Die Qual hatte sie wieder in ihren Krallen. Ich hielt die Aufzeichnung an, bevor sie begann, um sich zu schlagen und zu schreien.
Ich sagte: »Es gibt noch drei weitere Fälle, die mehr oder weniger genauso aussehen. Was meinst du – interpretiere ich zuviel in diese Phantastereien hinein, oder hast du denselben Eindruck? Denn… was für eine Art von Krankheit könnte die Betroffenen zu der Überzeugung gelangen lassen, sie seien die Schlüsselfigur?«
Kuwale stellte das Notepad auf der Bettdecke ab und blickte mich an. »Andrew, falls das ein schlechter Scherz sein soll…«
»Nein! Warum sollte ich…?«
»Um Mosala zu retten. Wenn das eine Fälschung ist, wirst du niemals damit durchkommen.«
Ich stöhnte auf. »Wenn ich eine Schlüsselfigur erfinden wollte, um sie aus der Schußlinie zu bringen, hätte ich eine Simulation erstellt, wie Yasuko Nishide auf dem Sterbebett seine kosmischen Erkenntnisse offenbart – und nicht irgendeinen wahllos herausgegriffenen Fall aus der Psychiatrie.« Ich erklärte ihm von Reynolds und der Dokumentation für SeeNet.
Hie beobachtete mich aufmerksam, um herauszufinden, ob ich die Wahrheit sagte. Ich erwiderte heinen Blick und war zu müde und verwirrt, um irgend etwas verbergen zu können. Ich bemerkte eine aufflackernde Überraschung und dann… Belustigung? Ich wußte es nicht genau. Und was immer hie empfand, hie verriet es mir nicht.
»Vielleicht wurde es von anderen Mitgliedern des AK-Zentrum gefälscht«, sagte ich, »die es ins Archiv von SeeNet einschleusten…« Ich griff nach Strohhalmen, aber ich konnte mir keine sinnvollere Erklärung denken.
»Nein«, entgegnete Kuwale kategorisch. »Davon hätte ich gehört.«
»Also…?«
»Es ist echt.«
»Wie kann das sein?«
Hie sah mich wieder an, ohne ein Geheimnis
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