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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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aufgeschlagen – mit Schlafsäcken, Klappstühlen, tragbaren Öfen und sogar einigen kleinen Zelten. Ich wußte nicht, ob mir dieser Anblick Mut machen sollte oder ob der bemitleidenswerte Optimismus deprimierend war. Vielleicht waren die Anarchisten bereit, das Beste aus der Situation zu machen, falls die Infrastruktur der Städte unter fremde Kontrolle geriet. Und ich hatte immer noch keine Anzeichen für Panik, Unruhe oder Plünderungen bemerkt. Also hatte Munroe offenbar doch recht, daß Kenntnisse über den Ursprung und die Dynamik dieser hochgeschätzten kulturellen Aktivitäten des Menschen genügten, um ihnen die Fähigkeit zu geben, die Konsequenzen zu überdenken und sich dann dagegen zu entscheiden.
    Doch wenn sie mit militärischer Hardware im Wert von Milliarden Dollar konfrontiert wurden, würden sie wesentlich mehr als Öfen, Zelte und eine Ausbildung in Soziobiologie benötigen, um nicht einem Massaker zum Opfer zu fallen.

 

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27

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    Ich wurde durch das Granatfeuer geweckt. Das Grollen schien aus größerer Ferne zu kommen, aber mein Bett erzitterte. Ich hatte mich innerhalb von Sekunden angezogen und stand dann mitten im Raum, von Unentschlossenheit gelähmt. Hier gab es keine Kellergeschosse, keine Luftschutzbunker. Wo war also der sicherste Platz? Unten im Erdgeschoß? Oder draußen auf der Straße? Ich schrak vor der Vorstellung zurück, mich im Freien aufzuhalten. Aber würden vier oder fünf Stockwerke über meinem Kopf mir Schutz bieten – oder wären sie nur ein größerer und gefährlicherer Trümmerhaufen?
    Es war kurz nach sechs und noch nicht richtig hell. Ich trat vorsichtig ans Fenster, während ich eine absurde Furcht vor Heckenschützen niederkämpfte. Als würde irgendeine Seite solche Mittel einsetzen! Fünf weiße Rauchsäulen hingen in mittlerer Entfernung in der Luft, wie träge Tornados aus verborgenen Schornsteinen. Ich forderte Sisyphus auf, das lokale Net nach Aufnahmen der Schauplätze zu durchsuchen. Es gab Dutzende von Einspeisungen. Riff-Fels war unverwüstlich und unbrennbar, aber die Granaten waren offenbar mit irgendwelchen Chemikalien ausgestattet, die größeren Schaden als nur durch Hitze und Aufschlag anrichten sollten, denn das Ergebnis sah weniger wie ein zerstörtes Gebäude, sondern eher wie der Rückstand einer Mine auf einem freien Platz aus. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß im Innern irgend jemand überlebt hatte – doch in den benachbarten Straßen sah es kaum besser aus, denn sie waren metertief unter Kalkstaub begraben.
    Die Leute, die vor dem Hotel kampierten, machten nicht den Eindruck, als wären sie überrascht worden. Die Hälfte von ihnen hatte bereits die Sachen gepackt und war weitergezogen, während der Rest die Zelte abbrach, Decken und Schlafsäcke zusammenrollte und Öfen abbaute. Ich konnte kleine Kinder weinen hören, und die Stimmung der Menge war sichtlich angespannt, aber es gab keine Hektik, in der jemand niedergetrampelt werden konnte. Noch nicht. Ein Stück weiter konnte ich auf der Straße einen langsamen, konstanten Strom von Menschen erkennen, der sich nach Norden fort vom Stadtzentrum bewegte.
    Ich hatte eher mit einem lautlosen, tödlichen Vorgang gerechnet – schließlich war EnGeneUity eine Biotechnik-Firma – aber ich hätte es besser wissen müssen. Ein Regen aus Explosionen, Gebäude in Trümmern und Flüchtlingsströme waren viel besser als Bebilderung der Schlagzeile Ausbruch der Anarchie auf Stateless! geeignet. Die Söldner waren nicht gekommen, um die Insel mit klinischer Präzision unter ihre Kontrolle zu bringen, sondern sie sollten beweisen, daß jede abtrünnige Gesellschaft dazu verdammt war, in ein telegenes Chaos zu versinken.
    Irgendwo östlich vom Hotel schlug eine Granate ein. Es war der bisher nächste Treffer. Weißes Pulver regnete von der Zimmerdecke herab, und eine Ecke des Polymer-Fensters sprang aus dem Rahmen, um sich wie ein totes Blatt zu verbiegen. Ich hockte mich auf den Boden, schützte den Kopf mit den Händen und verfluchte mich, daß ich nicht mit De Groot und Mosala geflogen war. Und ich verfluchte Akili, weil hie nicht auf meine Botschaften antwortete. Warum konnte ich die Tatsache nicht akzeptieren, daß ich hie nichts bedeutete? Ich war recht nützlich gewesen, um Mosala vor den abtrünnigen AKs zu beschützen, und ich hatte hie die Neuigkeit mitgeteilt, die angeblich die Wahrheit hinter Qual enthüllte… doch nachdem jetzt die große Informationsseuche kam, war

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