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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Schulterkamera. Dann spazierte ich durch die Stadt und filmte alles, was in Sichtweite war. Die letzte Nacht des Friedens auf Stateless? Die Stimmung auf den Straßen war völlig anders als der bedrückte Belagerungszustand unter den Physikern und Journalisten im Hotel. Doch es herrschte eine angespannte Erwartung, etwa wie in Los Angeles während eines Erdbebenalarms. (Ich hatte einen miterlebt, auch wenn er sich als falscher Alarm erwies.) Die Leute, denen ich begegnete, warfen mir neugierige Blicke zu – gelegentlich sogar mißtrauische – aber ich erkannte kein Anzeichen für Feindseligkeit. Es war, als würden sie überlegen, ob ich ein Spion der Söldner sein könnte, was immerhin denkbar war, doch falls dem so war, schienen sie es lediglich als exotischen Wesenszug zu betrachten, den sie mir keineswegs zum Vorwurf machen wollten.
    Ich blieb mitten auf einem hell erleuchteten Platz stehen und sah die neuesten Net-Nachrichten durch. Buzzo hatte keine Pressekonferenz gegeben, um seine Irrtümer zuzugeben, doch nachdem Mosala jetzt unverkennbare Symptome entwickelt hatte, nahm er die Gefahr durch die Extremisten nun vielleicht etwas ernster und überlegte es sich noch einmal. Die Berichterstattung über Stateless war ausnahmslos und unübersehbar eingefärbt, doch SeeNet würde schon bald alle anderen überrunden, wenn die wahren Gründe für die Besetzung bekanntgegeben wurden. Und selbst wenn Mosala am Leben blieb, konnte die Wahrheit für die Unterstützer des Boykotts unangenehm werden.
    Die Luft war feucht, aber kühl. Ich blickte zu den Satelliten hinauf, die eine Brücke über den Planeten bildeten, und versuchte mir der Tatsache bewußt zu werden, daß ich auf einer künstlichen Insel im Südpazifik stand, kurz vor dem Ausbruch eines Krieges.
    War mein gesamtes Leben in diesem Augenblick codiert – alle Erinnerungen, die ich besaß, die Umstände, in denen ich mich befand? Wenn ich diese Situation als Voraussetzung nahm… hätte ich daraus alles andere rekonstruieren können?
    Mein Gefühl sagte nein. Meine Kindheit in Sydney war so fern, unvorstellbar und hypothetisch wie der Urknall. Sogar die Zeit, die ich im Frachtraum des Schiffes verbracht hatte, und die Begegnung mit dem Roboter am Flughafen waren wie die Erinnerungsbruchstücke eines Traumes verblaßt.
    Ich hatte niemals Cholera gehabt. Ich besaß keine internen Organe.
    Die Sterne glitzerten in eiskaltem Licht.
    Um ein Uhr morgens waren die Straßen immer noch belebt, die Geschäfte und Restaurants immer noch geöffnet. Die allgemeine Stimmung war nicht so düster, wie sie hätte sein sollen. Vielleicht glaubten die Menschen trotzdem, daß die Belästigung, der sie gegenüberstanden, nicht schlimmer sein konnte als die, die sie bereits in der Vergangenheit überstanden hatten.
    Vor einem Springbrunnen auf dem Platz stand eine Gruppe lachender junger Männer. Ich fragte sie, ob sie glaubten, daß die Miliz bald den Flughafen angreifen würde. Ich konnte mir ihre gute Laune nicht anders erklären. Vielleicht würden sie an der Aktion teilnehmen und brachten sich nun in die richtige Stimmung.
    Sie starrten mich fassungslos an. »Den Flughafen angreifen? Und sich dabei abschlachten lassen?«
    »Es wäre möglicherweise Ihre einzige Chance.«
    Sie tauschten amüsierte Blicke. Einer der Männer legte mir die Hand auf die Schulter und sagte mit besorgter Miene: »Glauben Sie mir, es wird gutgehen. Legen Sie ab und zu ein Ohr auf den Boden und halten Sie sich gut fest.«
    Ich fragte mich, unter welcher Droge sie standen.
     
    Als ich ins Krankenhaus zurückkehrte, sagte De Groot: »Violet ist aufgewacht. Sie möchte mit Ihnen reden.«
    Ich ging allein in ihr Zimmer. Es war schwach beleuchtet. Auf einem Monitor neben dem Kopfende des Bettes glommen grüne und orangefarbene Daten. Mosalas Stimme war schwach, aber sie war bei klarem Verstand.
    »Werden Sie mich in der Ambulanz begleiten?«
    »Wenn Sie es möchten.«
    »Ich möchte, daß Sie alles aufzeichnen. Verwenden Sie die Aufnahmen für einen guten Zweck, wenn es erforderlich wird.«
    »Das werde ich tun.« Ich war mir nicht sicher, was sie damit meinte. Vielleicht sollte ich EnGeneUity für ihren Tod verantwortlich machen, wenn es soweit kam.
    Doch ich fragte nicht nach, da ich von der Politik des Märtyrertums genug hatte.
    »Karin sagte, Sie sind zum Flughafen gegangen und hätten sich gegenüber den Söldnern für mich verwandt.« Sie blickte mir suchend in die Augen. »Warum haben Sie das

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