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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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vibrierte immer noch nach. Ich lief wie betrunken im Kreis und suchte den Horizont ab, da ich immer noch nicht fassen konnte, daß es kein weiteres Anzeichen für den Granateneinschlag gab.
    Die Luft war jedoch völlig ruhig geblieben. Der Explosionslärm war vom Fels ausgegangen. Eine unterirdische Detonation?
    Oder eine unterseeische – unter der Insel?
    Und möglicherweise gar keine Detonation…
    Der Boden erzitterte wieder. Ich stürzte unglücklich und verrenkte mir den Arm, doch die Panik blendete all das aus, ließ meinen Schmerz zur Bedeutungslosigkeit verblassen. Ich klammerte mich an den Boden und versuchte die Kraft zu finden, meinen Instinkten zu trotzen, die mich anschrien, unten zu bleiben und mich nicht zu rühren, während ich genau wußte, daß ich verloren war, wenn ich nicht aufstand und schneller über die bebenden toten Korallen rannte als jemals zuvor in meinem Leben.
    Die Söldner hatten die Lithophilen abgetötet, die dem Riff-Fels die Schwimmfähigkeit verliehen. Deshalb hatten sie uns aus der Stadt getrieben, weil nur das Zentrum der Stadt unversehrt bleiben würde. Außerhalb des Guyots würden die freien Vorsprünge einfach abknicken und untergehen.
    Ich drehte mich um und versuchte zu erkennen, was aus dem Lager geworden war. Blaue und orangefarbene Quadrate erwiderten meinen Blick. Die meisten Zelte standen noch. Noch konnte ich keine Bewegung jenseits der Einöde ausmachen – dazu war es zu früh – aber ich wußte, daß es nicht nötig war, umzukehren und die Menschen zu warnen. Nicht einmal Akili. Wer durch die Insel getaucht war, verstand zweifellos, was geschah, schneller als ich es begriffen hatte. Meine einzige Aufgabe bestand darin, mich selbst zu retten.
    Ich kam auf die Beine und rannte los. Ich schaffte etwa zehn Meter, bevor der Boden wegrutschte und mich wieder umwarf. Ich stand auf, ging drei Schritte, verstauchte mir einen Knöchel und stürzte erneut. Jetzt dröhnte in meinem Kopf ein ständiges, gequältes Krachen, das sich vom Riff-Fels durch die Knochen meines Körpers fortpflanzte, von einem lebenden Mineral an ein anderes lebendes Mineral weitergeleitet. Die Unterwelt griff nach mir und wollte mich an ihrer Auflösung teilhaben lassen.
    Ich kroch auf Händen und Knien weiter, während ich unartikuliert schrie und nahezu von der Vision gelähmt wurde, wie der Ozean über die versinkenden Riffe brauste, die Körper packte und sie aufs Inland warf, um sie am zerbrechenden Boden zu zerschmettern. Ich blickte zurück und sah nur das friedliche Zeltdorf, das immer noch sinnlos intakt war – doch das Schreien der gesamten Insel hallte in meinem Schädel wider. Die Sintflut konnte nur noch Minuten entfernt sein.
    Ich kam wieder auf die Beine, rannte trotz der wankenden Sterne mehrere Sekunden lang unbehelligt weiter, stürzte aufs neue und riß mir dabei die Nähte auf. Warmes Blut sickerte durch die Bandagen. Ich ruhte mich aus, hielt mir die Ohren zu und fragte mich zum ersten Mal, ob es besser wäre, mich still zu verhalten und auf den Tod zu warten. Wie weit war ich vom Guyot entfernt? Wie weit würde das Meer hereinschwappen, selbst wenn ich es bis auf festen Boden schaffte? Ich tastete nach der Tasche, in der sich mein Notepad befand, als könnte ich eine GPS-Peilung erhalten, ein paar Karten konsultieren und dann zu einer Entscheidung gelangen. Ich rollte mich auf den Rücken und lachte. Die Sterne zappelten im Zeitraffer.
    Ich stand auf, warf einen Blick über die Schulter und sah jemanden, der hinter mir über den Fels rannte. Ich ließ mich – nur halb freiwillig – auf Hände und Knie fallen, ohne die Gestalt aus den Augen zu lassen. Sie war dunkelhäutig und schlank – aber es war nicht Akili, denn das Haar war zu lang. Ich strengte meine Augen an. Es war ein Mädchen im jugendlichen Alter. Ihr Gesicht fing das Mondlicht ein, sie hatte die Augen vor Angst weit aufgerissen, doch ihr Mund war trotzig geschlossen. Dann bäumte sich der Boden auf, und wir beide stürzten. Ich hörte ihren Schmerzensschrei.
    Ich wartete – aber sie stand nicht auf.
    Ich kroch zu ihr zurück. Wenn sie verletzt war, konnte ich nur noch neben ihr hocken, bis der Ozean uns beide verschlang. Ich konnte sie unmöglich hier zurücklassen.
    Als ich sie erreichte, lag sie mit angewinkelten Beinen auf der Seite und massierte eine Wade, während sie wütend etwas murmelte. Ich kam noch etwas näher und rief: »Glaubst du, daß du stehen kannst?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Wir sollten

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