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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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nicht verändert, und er stand immer noch im Widerspruch zu gegenwärtigen Moralvorstellungen, während er diese genauso oft umging oder auch unterstützte. Ginas Untreue stellte kaum ein Verbrechen gegen die Biologie dar… und was immer ich getan hatte, um sie von mir zu entfremden, war ein reiner Mangel an bewußter Anstrengung gewesen – ein Defizit an Aufmerksamkeit, die bereits jedem steinzeitlichen Urahn zur zweiten Natur geworden war. Praktisch alles, was moderne Menschen an einer Beziehung positiv betrachteten – vor allen Dingen den sexuellen Akt und einen gewissen Grad der Beschützung des Partners und der Nachkommen –, beruhte auf einem unabhängigen Willensakt. Der winzige Kern des instinktiven Verhaltens war von einer dicken Schale aus moralischen und sozialen Konstrukten umgeben – und die Perle hat nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem Sandkorn.
    Ich hatte nicht den Wunsch, irgend etwas davon aufzugeben – aber wenn mein so häufiges Versagen letztlich darauf zurückzuführen war, daß ich diese beiden Seiten niemals miteinander vereinbaren konnte…
    Wenn die Wahl auf Biologie oder Zivilisation hinauslief…
    Ich wußte jetzt, woran mir am meisten lag.
    Und Asexuelle konnten sich trotzdem nahe sein, sie konnten sich trotzdem berühren.
    Nach einer Weile schlüpften wir in den Schlafsack, um uns zu wärmen. Ich war immer noch erschüttert über die Tragödie von Stateless, über den sinnlosen Beinahe-Mord an Mosala, über die Zerstörung meiner Karriere. Doch Akili küßte mich auf die Stirn und gab sich alle Mühe, die schmerzenden Muskeln meiner Schultern zu entspannen – und ich tat dasselbe für hie, in der Hoffnung, damit heine Furcht vor der großen Informationsseuche zu lindern, die, wie ich immer noch fest glaubte, nie wirklich kommen würde.
     
    Ich wurde von Akilis Atemgeräuschen an meiner Seite geweckt und war verwirrt. Das Zelt war in grün-blaues Licht getaucht, das so schattenlos wie am Mittag war. Ich blickte auf und sah die Scheibe des Mondes am Himmel, einen weißen Punktstrahler, der durch das Gewebe des Daches drang und von einem gebrochenen Regenbogenkranz umgeben war.
    Ich dachte: Akili hatte mich außerhalb des Flughafens angesprochen. Hie hätte mich mit der manipulierten Cholera infizieren können, nachdem hie wußte, daß ich sie an Mosala weitergeben würde.
    Und als die Waffe versagte, besorgte hie das Gegenmittel – um mein Vertrauen zu gewinnen, in der Hoffnung, mich ein zweites Mal für heine Zwecke einzuspannen… doch dann hatten uns dummerweise die Gemäßigten entführt, worauf kein Grund mehr bestanden hatte, einen zweiten Anschlag gegen Mosala auszuführen.
    Es war reine Paranoia. Ich schloß die Augen. Warum sollte ein Extremist vorgeben, an die Informationsseuche zu glauben? Und wenn diese Überzeugung aufrichtig war, warum mußte dann Buzzo sterben, nachdem sich der Aleph-Moment als unausweichlich erwiesen hatte? In jedem Fall stellte sich die Frage – nachdem Mosala wieder in Kapstadt war und ihre Arbeit mit oder ohne sie abgeschlossen würde – welchen Nutzen ich jetzt noch für die Extremisten hatte.
    Ich löste mich von Akili und arbeitete mich aus dem Schlafsack. Hie wachte auf, während ich mich anzog, und murmelte verschlafen: »Die Latrinenzelte leuchten rot. Du kannst sie nicht verfehlen.«
    »Ich bin bald zurück.«
    Ich lief ohne Ziel los und versuchte, wieder klar im Kopf zu werden. Es war früher, als ich gedacht hatte, erst kurz nach neun, aber erschreckend kalt. Die meisten Zelte sonderten immer noch Licht ab, doch die Gassen dazwischen waren menschenleer.
    Es ergab keinen Sinn, sich Akili als extremistischen Attentäter vorzustellen – denn warum hätte hie sich sonst bemühen sollen, vom Fischerboot zu fliehen? Doch die Zweifel, die ich beim Aufwachen empfunden hatte, warfen einen dunklen Schatten über alles, als wäre mein Mißtrauen eine genauso schlimme Katastrophe wie die Möglichkeit, daß ich recht haben könnte. Wie konnte es sein, nachdem wir gemeinsam soviel durchgemacht hatten, daß ich an heiner Seite aufwachte und mich fragte, ob alles nur Lügen gewesen waren?
    Ich erreichte den südlichen Rand des Lagers. Hier mußte sich die letzte Flüchtlingswelle niedergelassen haben, denn außer Riff-Fels, der sich bis zum Horizont erstreckte, war nichts zu sehen.
    Ich hielt inne und wäre beinahe umgekehrt. Doch wenn ich zwischen den Zelten herumspazierte, kam ich mir wie ein Spion vor – und ich war noch nicht bereit, in Akilis

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