Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
zum Martin Place. Im alten Postgebäude gab es einen Nachtclub namens ›Sortierzentrum‹. Dort spielte man Njari-Musik aus Simbabwe, ein vielschichtiges, hypnotisches Pulsieren, jedoch niemals im Metronom-Takt, das vereinzelte Rhythmussplitter im Gehirn hinterließ, wie die Spuren von Fingernägeln, die über Haut kratzten. Gina tanzte ekstatisch, und die Musik war so laut, daß ein Gespräch zum Glück nahezu unmöglich war. An diesem Ort ohne Worte konnte ich keine Fehler machen.
    Kurz nach eins gingen wir. Im Zug nach Eastwood saßen wir in einer Ecke des Waggons und küßten uns wie Teenager. Ich fragte mich, wie die Generation meiner Eltern in einem solchen Zustand in der Lage gewesen war, ihre kostbaren Autos zu fahren. (Zweifellos sehr schlecht.) Die Heimreise dauerte zehn Minuten – was viel zu kurz war. Ich wollte, daß sich alles so langsam wie möglich entfaltete. Ich wollte, daß es Stunden anhielt.
    Wir blieben mehrere Male stehen, während wir vom Bahnhof nach Hause schlenderten. Wir standen so lange vor der Vordertür, daß das Sicherheitssystem uns fragte, ob wir beide unsere Schlüssel verloren hätten.
    Als wir uns auszogen und gemeinsam aufs Bett fielen und mein Gesichtsfeld schwankte, dachte ich noch, daß es nur ein Nebeneffekt der Leidenschaft war. Doch als meine Arme taub wurden, erkannte ich, was geschah.
    Ich hatte mich zu sehr mit den Melatonin-Blockern aufgeputscht, daß die Neurotransmitter-Reserven in der Region des Hypothalamus, die für den Wach- und Schlafzustand verantwortlich war, nun aufgebraucht waren. Ich hatte zuviel Zeitkredit beansprucht, und jetzt ging die Kurve nach unten.
    Erschüttert sagte ich: »Ich fasse es nicht. Es tut mir leid.«
    »Was?« Ich hatte immer noch eine Erektion.
    Ich versuchte mich zu konzentrieren und drückte eine Taste auf der Pharmaeinheit. »Gib mir noch eine halbe Stunde.«
    »Nein. Die Sicherheitsgrenzen…«
    »Fünfzehn Minuten«, bettelte ich. »Dies ist ein Notfall.«
    Das Gerät zögerte, während es das Sicherheitssystem konsultierte. »Es gibt keinen Notfall. Du liegst im Bett, und dem Haus droht keine Gefahr.«
    »Du bist gekündigt! Ich werde dich recyceln!«
    Gina wirkte eher amüsiert als enttäuscht. »Siehst du, was geschieht, wenn du deine natürlichen Grenzen überschreitest? Ich hoffe, du zeichnest alles für Gepanschtes DNS auf.« Der Spott machte sie nur tausendmal begehrenswerter – aber ich fiel bereits immer wieder in Mikroschlaf. »Verzeihst du mir?« fragte ich betrübt. »Vielleicht… könnten wir morgen…«
    »Ich glaube kaum. Morgen arbeite ich bis ein Uhr nachts. Und ich will nicht so lange warten.« Sie packte mich an den Schultern und rollte mich auf den Rücken, um sich dann über mich zu kauern.
    Ich gab Protestlaute von mir. Sie beugte sich vor und küßte mich zärtlich auf den Mund. »Komm schon! Du willst diese seltene Gelegenheit doch nicht ungenutzt verstreichen lassen, oder?« Sie griff nach unten und streichelte meinen Penis. Ich spürte, wie er auf die Berührung reagierte, aber er schien gar nicht mehr richtig zu mir zu gehören.
    »Vergewaltigerin«, murmelte ich. »Nekrophilikerin.« Ich wollte einen längeren Vortrag über den Zusammenhang zwischen Sex und Kommunikation halten, doch Gina schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, meine Standpunkte zu widerlegen, bevor ich sie auch nur geäußert hatte. »Soviel zum Thema schlechtes Timing.«
    »Ist das ein Ja oder ein Nein?« fragte sie.
    Ich gab es auf, die Augen öffnen zu wollen. »Mach nur.«
    Dann begann etwas, das andeutungsweise angenehm war, doch meine Sinne schwanden, und mein Körper fiel ins Nichts.
    Ich hörte eine Stimme, Lichtjahre entfernt, die etwas von ›Süßen Träumen‹ flüsterte.
    Doch ich stürzte nur in die Finsternis und spürte nichts mehr. Und ich träumte von stillen ozeanischen liefen.
    Ich fiel durch dunkles Wasser. Allein.

 

----
6

----
     
     
    Ich hatte gehört, daß London schwer unter der Entwicklung der Networks gelitten hatte, aber es war nicht in dem Ausmaß wie Sydney zu einer Geisterstadt geworden. Die Londoner Ruinen waren ausgedehnter, wurden jedoch viel intensiver genutzt. Selbst die letzten Türme aus Glas und Aluminium, die zur Jahrtausendwende für Banker und Börsenmakler gebaut worden waren, und die letzten ›High-Tech‹-Druckerpressen, die das Zeitungswesen ›revolutioniert‹ hatten (bevor es völlig überflüssig geworden war), hatte man mit dem Etikett ›historisches Denkmal‹ versehen

Weitere Kostenlose Bücher