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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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spreche nur für mich selbst‹ genausoviel Aufmerksamkeit zuteil wie jemandem, der behauptet, für die Hälfte der Bevölkerung zu sprechen?«
    »Wenn Menschen wie du ihnen die Möglichkeit dazu verschaffen.«
    »Du weißt, daß es in Wirklichkeit nicht so einfach ist. Und stell dir nur vor, was aus dem Feminismus geworden wäre – oder der Bürgerrechtsbewegung – wenn man niemandem erlaubt hätte, ›im Namen‹ irgendeiner Gruppe zu sprechen, ohne daß ein einstimmiges und beglaubigtes Einverständnis vorliegt? Nur weil einige der zeitgenössischen Spinner wie Parodien auf die alten Wortführer aussehen, bedeutet das nicht, daß es uns jetzt besser gehen würde, wenn die Fernsehproduzenten damals gesagt hätten: ›Tut uns leid, Dr. King, Ms. Greer, Mr. Perkins, aber wenn Sie nicht auf diese pauschalen Verallgemeinerungen verzichten und sich auf Ihre persönliche Situation beschränken, können wir Ihnen leider keinen Sendeplatz einräumen.‹«
    Gina musterte mich skeptisch. »Das ist alte Geschichte. Und du vertrittst diesen Standpunkt nur, um dich elegant aus der Verantwortung zu ziehen.«
    »Natürlich. Aber es geht darum, daß die sexuelle Migration zu neunzig Prozent politisch motiviert ist. In einigen Berichten wird sie immer noch als eine Art dekadenter, überflüssiger Modeerscheinung dargestellt, als Deckmantel für unentschlossene Transsexuelle – aber die meisten Asexuellen beschränken sich auf oberflächliche Veränderungen. Sie wechseln nicht ins andere Lager, denn sie haben gar keinen Grund, es zu tun. Es ist eine Form von Protest, wie der Austritt aus einer politischen Partei oder der Verzicht auf eine Staatsbürgerschaft… oder wie Fahnenflucht. Aber ich habe keine Ahnung, ob es sich auf einem bestimmten Level stabilisiert, ob es die Einstellungen so sehr erschüttert, daß der Anlaß für die geschlechtliche Migration hinfällig wird, oder ob die Bevölkerung in ein paar Generation gleichmäßig über alle sieben Geschlechter verteilt sein wird.«
    Gina schürzte die Lippen. »Sieben Geschlechter, diesich strikt voneinander isolieren. Jeder läßt sich auf den ersten Blick typisieren. Sieben Schubladen statt zwei – das ist nicht unbedingt ein Fortschritt.«
    »Nein. Aber auf lange Sicht wird es vielleicht nur noch asexuell, U-männlich und U-weiblich geben. Wer sich in einer Schublade wohler fühlt, kann sich darin niederlassen – und wer es nicht will, kann ein Geheimnis daraus machen.«
    »Nein, auf lange Sicht werden wir nur noch VR-Körper haben, und dann können wir ganz nach Belieben geheimnisvoll oder unmißverständlich sein.«
    »Ich will nicht mehr warten.«
    Wir gingen hinein. ›Unnatürlicher Geschmack‹ war ein umgebautes Kaufhaus, verwinkelt, aber hell erleuchtet. Um es geräumiger wirken zu lassen, hatte man einfach ein großes elliptisches Loch in die Mitte jedes Stockwerks geschnitten. Ich hielt mein Notepad vor das Drehkreuz am Eingang, worauf eine Stimme unsere Reservierung bestätigte und hinzufügte: »Tisch 519, fünfter Stock.«
    Gina grinste heimtückisch. »Fünfter Stock: Stofftiere und Damenunterwäsche.«
    Ich blickte zu den anderen Gästen hinauf – hauptsächlich U-männliche und U-weibliche Pärchen. »Benimm dich, du Rüpel, sonst müssen wir das nächste Mal in Epping essen.«
    Das Restaurant war mindestens zu drei Vierteln besetzt, aber es gab weniger Sitzplätze, als es schien. Der größte Teil des Raums wurde vom zentralen Durchbruch beansprucht. Auf dem noch vorhandenen Boden schlängelten sich menschliche Kellner in Smokings zwischen den verchromten Tischen hindurch. Auf mich wirkte das alles recht archaisch und stilisiert, etwa wie bei den Marx-Brothers. Ich war kein großer Anhänger der Experimentellen Cuisine, denn im Grunde waren die Gäste Versuchskarnickel, die medizinisch unbedenkliche, aber ansonsten ungetestete biotechnische Produkte probieren durften. Gina hatte darauf hingewiesen, daß zumindest die Kosten der Mahlzeit von den Herstellern übernommen wurden. Ich war mir nicht so sicher, denn die Experimentelle Cuisine war in letzter Zeit so sehr in Mode gekommen, daß sie möglicherweise eine statistisch bedeutende Menge von Gästen anlockte, die bereit waren, jede Neuheit zum vollen Preis zu versuchen.
    Das Tischdisplay zeigte die Gerichte, sobald wir uns gesetzt hatten – und die Zahlen schienen meine Zweifel hinsichtlich einer Kostenübernahme zu bestätigen. Ich stöhnte. »Scharlachroter Bohnensalat? Es ist mir egal, welche

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