Qual
höflich: »So etwas liegt mir fern. Ich habe mehrere hundert Autisten und ihre Familien kennengelernt, und ich weiß, wieviel Schmerz damit verbunden ist. Wenn ich das Problem aus der Welt schaffen könnte, würde ich es sofort tun.
Aber jeder von uns hat nun einmal sein eigenes Leben, seine eigenen Probleme und seine eigenen Hoffnungen. Wir sind keine totalen Autisten – und die Entfernung des Lamont-Zentrums im Erwachsenenalter hätte nicht dieselben Folgen wie bei jemandem, der auf diese Weise geboren wurde. Die meisten von uns haben gelernt, den Mangel auszugleichen, indem wir bewußt Modelle von anderen Menschen erstellen. Es ist wesentlich anstrengender als für Nicht-Autisten, aber wenn wir das wenige, das wir auf diesem Gebiet erreicht haben, verlieren, wären wir nicht plötzlich völlig hilflos. Oder ›egoistisch‹, ›unbarmherzig‹ oder ›ohne jedes Mitgefühl‹, wie die Murdochs uns am liebsten charakterisieren. Und wenn man uns die Operation erlaubt, um die wir bitten, würde das nicht bedeuten, daß wir unsere Arbeitsstelle verlieren. Und wir würden auch nicht von Institutionen versorgt werden müssen. Es würden keinerlei Kosten für die Gesellschaft entstehen…«
»Die Kosten sind das geringste Problem«, unterbrach ich ihn verärgert. »Sie reden davon, sich absichtlich etwas chirurgisch entfernen zu lassen, das… elementar für jeden Menschen ist.«
Rourke blickte plötzlich auf und nickte ruhig, als hätte ich etwas gesagt, über das zwischen uns ein uneingeschränktes Einverständnis herrschte.
»Genau«, sagte er. »Und wir haben jahrzehntelang mit einer elementaren Wahrheit hinsichtlich menschlicher Beziehungen gelebt – die wir uns nicht durch den tröstenden Effekt einer Autotransplantation zerstören lassen wollten. Jetzt fordern wir nur die Freiheit, konsequent sein zu dürfen. Wir wollen nicht mehr dafür bestraft werden, daß wir uns der Selbsttäuschung verweigern.«
Irgendwie gelang es mir, das Interview in eine vernünftige Form zu bringen. Ich hatte Hemmungen, James Rourke zu paraphrasieren. Bei den meisten Leuten war es verhältnismäßig einfach, zu beurteilen, was in ihrem Sinne war und was nicht, doch hier bewegte ich mich auf unsicherem Boden. Ich war mir nicht einmal sicher, ob die Konsole ihn überzeugend imitieren konnte. Als ich es versuchte, wirkte die Körpersprache völlig falsch, als würde sich die Software (die normalerweise ein nahezu vollständiges Gestikprofil einer Person erstellte) bemühen, die fehlenden Teile durch Mutmaßungen auszufüllen. Schließlich änderte ich gar nichts, sondern wählte nur die besten Stellen aus und schnitt sie mit anderem Material zusammen, während ich mich auf Kommentare beschränkte, wenn es keine andere Möglichkeit gab.
Ich ließ mir von der Konsole ein Diagramm der Segmente zeigen, die ich für die montierte Version benutzt hatte – Scheibchen, die über die lange lineare Sequenz der Originalaufnahmen verteilt waren. Jeder Take – jede ununterbrochene Filmsequenz – war eindeutig ›etikettiert‹, mit Angaben zu Zeit und Ort und einem Bild vom Anfang und Ende. Es gab ein paar Takes, die ich überhaupt nicht verwendet hatte, und diese spielte ich noch ein letztes Mal ab, um sicherzustellen, daß ich nichts Wichtiges ausgelassen hatte.
Darunter waren die Aufnahmen, auf denen Rourke mich in sein ›Büro‹ geführt hatte, das nicht mehr als eine Ecke in seiner Zweizimmerwohnung darstellte. Mir war ein Foto aufgefallen, daß ihn im Alter von schätzungsweise Anfang Zwanzig mit einer Frau etwa desselben Alters zeigte.
Ich fragte, wer diese Frau war.
»Meine Ex-Frau.«
Das Paar stand auf einem überfüllten Strand, der einen mediterranen Eindruck machte. Sie hielten sich an den Händen und versuchten, in die Kamera zu schauen. Aber sie hatten offenbar dem Drang nicht widerstehen können, sich einen verschwörerischen Seitenblick zuzuwerfen. Ihr Verhältnis war sexuell aufgeladen, aber… auch von einer tiefen Vertrautheit geprägt. Wenn dieses Foto kein Porträt einer Beziehung voller Intimität war, dann war es eine ausgezeichnete Imitation.
Manchmal können wir sogar uns selbst einreden, daß alles in Ordnung ist. Zumindest für eine Weile.
»Wie lange waren Sie verheiratet?«
»Fast ein Jahr.«
Ich war natürlich neugierig gewesen, aber ich hatte nicht versucht, weitere Einzelheiten aus ihm herauszuholen. Gepanschtes DNS war eine wissenschaftliche Dokumentation und keine schäbige Enthüllungsgeschichte.
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