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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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entschieden.
    Ich hatte für Jenseits der Geschlechtskategorien mit Menschen gesprochen, die sich allen möglichen Reformierungsoperationen unterzogen hatten. Ein neuraler Mann, der in einem weiblichen Körper zur Welt gekommen war, hatte nach seiner Umwandlung zu einem N-Mann ekstatisch verkündet: »Ich habe es geschafft! Ich bin frei, ich bin angekommen!« Und in einem anderen Fall hatte eine Frau, die sich für NGR entschieden hatte, auf ihr unverändertes Gesicht im Spiegel gestarrt und gesagt: »Es ist, als wäre ich aus einem Traum erwacht, als hätte ich unter einer Art Halluzination gelitten. Und jetzt kann ich mich endlich so sehen, wie ich wirklich bin.« Nach den Publikumsreaktionen auf Jenseits der Geschlechtskategorien würde diese Parallele große Sympathien wecken – falls sie es bis in den endgültigen Beitrag schaffte.
    »Das Ziel jeder Operation von Transsexuellen ist ein gesunder Mann oder eine gesunde Frau«, sagte ich. »Das ist etwas ganz anderes als freiwilliger Autismus.«
    »Aber auch wir leiden unter einem Widerspruch«, entgegnete Rourke, »genauso wie die Transsexuellen. Nicht zwischen Körper und Gehirn, sondern zwischen dem Drang nach Intimität und der Unfähigkeit, sie jemals zu erreichen. Niemand – abgesehen von ein paar religiösen Fundamentalisten – wäre so grausam, von einem Transsexuellen zu verlangen, daß sie einfach lernen müssen, das zu sein, was sie sind, und daß ein medizinischer Eingriff eine verwerfliche Maßlosigkeit darstellen würde.«
    »Aber niemand will Sie von einem medizinischen Eingriff fernhalten. Die Autotransplantation ist legal. Und die Erfolgsquoten werden sich in Zukunft zweifellos erhöhen.«
    »Wie ich schon sagte, erhebt die IFA dagegen keine Einwände. Für einige Menschen ist es die richtige Entscheidung.«
    »Aber wie kann es jemals die falsche Entscheidung sein?«
    Rourke zögerte. Zweifellos hatte er alles, was er sagen wollte, vorformuliert und geübt – doch jetzt kam es zum eigentlichen Punkt. Wenn er Unterstützung für seinen Standpunkt gewinnen wollte, mußte er den Zuschauern begreiflich machen, warum er nicht geheilt werden wollte.
    Er sprach mit behutsam gewählten Worten. »Viele hundertprozentig autistische Menschen leiden unter zusätzlichen Hirnschädigungen sowie verschiedenen Formen von geistigen Behinderungen. Das trifft auf uns im allgemeinen nicht zu. Ganz gleich, wie groß bei uns die Schädigung des Lamont-Zentrums ist, die meisten von uns sind intelligent genug, um unseren eigenen Zustand verstehen zu können. Wir wissen, daß Nicht-Autisten die Überzeugung gewinnen können, daß sie Intimität erlangt haben. Wir haben uns jedoch entschieden, daß wir ohne diese Fähigkeit besser leben können.«
    »Wieso besser?«
    »Weil es die Fähigkeit zur Selbsttäuschung ist.«
    »Wenn Autismus das mangelnde Verständnis für andere darstellt«, sagte ich, »und die Therapie Ihnen dieses verlorene Verständnis wiedergeben würde…«
    Rourke unterbrach mich. »Aber wieviel davon ist wirklich Verständnis – und wieviel ist nur die Illusion von Verständnis? Ist die Intimität eine Art Wissen – oder ist sie nur ein bequemer, aber falscher Glaube? Die Evolution interessiert es nicht, ob wir die Wahrheit verstehen können oder nicht – außer wenn es pragmatisch ist. Und es gibt ebenso pragmatische Irrtümer. Wenn das Gehirn uns das Gefühl geben will, unsere Fähigkeit zum Verständnis anderer Menschen zu überschätzen – damit die Partnerbindung mit dem Selbstbewußtsein kompatibel wird – dann wird es uns schamlos belügen. Es geht nur darum, daß die Strategie zum Erfolg führt.«
    Ich hatte geschwiegen, da ich nicht wußte, was ich erwidern sollte. Jetzt beobachtete ich Rourke, wie er darauf wartete, daß ich etwas sagte. Obwohl er so unbeholfen und schüchtern wie immer wirkte, hatte sein Gesichtsausdruck etwas, das mir einen kalten Schauer verursachte. Er glaubte wirklich daran, daß sein Zustand ihm eine Erkenntnis verschafft hatte, die kein gewöhnlicher Mensch nachvollziehen konnte. Falls er uns nicht gar wegen unserer angeborenen Fähigkeit zur seligen Selbsttäuschung bemitleidete, so war er zumindest der Überzeugung, über eine erweiterte und klarere Perspektive zu verfügen.
    Ich sprach stockend. »Autismus ist eine… tragische Krankheit… eine Behinderung. Wie können Sie… diesen Zustand romantisieren, als wäre er nicht mehr als eine Art… alternativer Lebensstil?«
    Rourke erwiderte entschieden, aber

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