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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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nachdem sogar das Land selbst mit unlizensierter Biotechnik erbaut worden war. Und dort mußte niemand hungern.
    Offenbar hatte der Jetlag mein Denkvermögen erheblich getrübt, denn mir fiel erst nach geraumer Zeit auf, daß die meisten Menschen im Flughafen gar nicht, gekommen waren, um Freunde zu begrüßen. Was ich zunächst für Gepäck und Geschenkpakete gehalten hatte, waren Waren. Diese Leute waren Händler, und ihre Kunden waren Touristen, Durchreisende und Einheimische. In einer Ecke gab es ein paar verstaubt wirkende offizielle Flughafengeschäfte… doch insgesamt schien das Gebäude gleichzeitig als Markplatz zu dienen.
    Während ich immer noch in der Schlange stand, schloß ich die Augen und rief Witness auf. Durch eine Sequenz von Augapfelbewegungen weckte ich die Software in meinen Eingeweiden, worauf das Bild einer Kontrollkonsole erzeugt und in meinen Sehnerv eingespeist wurde. Ich starrte auf das Feld ORT, in dem immer noch SYDNEY stand, das nun gehorsam verblaßte. Mit einer Hand tippte ich DILI in die virtuelle Tastatur. Dann schaute ich auf das Feld AUFZEICHNUNG STARTEN. Die Worte wurden hervorgehoben, und ich öffnete die Augen.
    Witness bestätigte: »Dili, Sonntag, 4. April 2055, 4:34:17 WEZ.« Piep.
    Die Zollabfertigung trieb die Transitsteuern ein, und wie es aussah, war ihre Hardware außer Betrieb. Also wurde die Angelegenheit nicht durch einen schnellen Datenaustausch über unsere Notepads geregelt, sondern wir mußten Formulare unterschreiben, unsere physischen Personalausweise vorzeigen und bekamen eine Bordkarte aus Pappe mit einem offiziellen Gummistempel in die Hand gedrückt. Ich hatte bereits mit kleinlichen Schikanen gerechnet, doch die Zollbeamtin, eine Frau mit sanfter Stimme und dichtem Papua-Kraushaar unter der Mütze, schenkte mir das gleiche geduldige Lächeln, mit dem sie jeden anderen begrüßt hatte, und bearbeitete meine Papiere mit der gleichen Geschwindigkeit.
    Danach schlenderte ich durch den Flughafen, gar nicht, um etwas zu kaufen, sondern nur, um das Ambiente für mein privates Skizzenbuch zu filmen. Menschen riefen und feilschten in Portugiesisch, Bahasa und Englisch – und wie Sisyphus behauptete, auch in Tetum und Vaiqueno, regionale Sprachen, die einen langsamen Wiederbelebungsprozeß durchmachten. Die Klimaanlage funktionierte höchstwahrscheinlich, doch die Körperwärme der Menschenmenge glich ihre Bemühungen wieder aus, so daß ich nach fünf Minuten klitschnaß geschwitzt war.
    Die Händler verkaufen Teppiche, T-Shirts, Ananas, Ölgemälde und Heiligenstatuen. Ich kam an einem Stand mit Trockenfisch vorbei und mußte mich zusammenreißen, damit mein Magen nicht revoltierte. Der Geruch war nicht das Problem, aber jedesmal, wenn ich sah, wie Tiere zum menschlichen Verzehr angeboten wurden, verursachte mir dieser Anblick größere Übelkeit als der einer menschlichen Leiche. Gentechnische Pflanzen konnten sämtliche nahrhaften Eigenschaften von Fleisch kompensieren oder übertrafen sie sogar. Auch in Australien existierte noch ein kleiner Fleischhandel, aber er wurde unauffällig und mit Hilfe intensiver kosmetischer Maßnahmen betrieben.
    Ich entdeckte einen Ständer mit Masarini-Jacken, wie es aussah, die zu einem Zehntel des Preises verkauft wurden, den sie in New York oder Sydney erzielt hätten. Ich ließ sie von meinem Notepad scannen, der eine Jacke in meiner Größe fand, das Etikett im Kragen abfragte und anerkennend piepte. Ich hatte jedoch meine Zweifel. Ich fragte den dünnen Jungen, der neben den Sachen stand: »Sind das hier echte Zertifikationschips oder…?« Er lächelte unschuldig und sagte nichts. Ich kaufte die Jacke, riß anschließend das Etikett heraus und gab ihm den Chip zurück. »Vielleicht können Sie ihn noch einmal verwenden.«
    Vor einem Software-Verkaufsstand begegnete ich Indrani Lee wieder. »Ich glaube«, sagte sie, »ich habe jemanden entdeckt, der ebenfalls zur Konferenz unterwegs ist.«
    »Wo?« Ich verspürte eine Mischung aus Aufregung und Panik, denn wenn es Violet Mosala höchstpersönlich war, war ich immer noch nicht genügend auf ein Gespräch mit ihr vorbereitet.
    Ich folgte Lees Blick und sah schließlich die ältere Weiße, die angeregt mit einem Händler stritt, der Halstücher verkaufte. Ihr Gesicht kam mir vage bekannt vor, doch im Profil konnte ich es keinem Namen zuordnen.
    »Wer ist das?«
    »Janet Walsh.«
    »Nein! Sie machen Witze!«
    Aber sie war es.
    Janet Walsh war eine preisgekrönte englische

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