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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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registrierte Maschine in südwestlicher Richtung über den Indischen Ozean ab. Die Meeresoberfläche sah windgepeitscht, graublau und bedrohlich aus, obwohl der Himmel klar war. Wir würden im großen Bogen um Australien herumfliegen und bis zu unserer Ankunft kein Land mehr sehen.
    Ich saß neben zwei Polynesiern mittleren Alters in Geschäftsanzügen, die sich laut und unablässig auf französisch unterhielten. Zum Glück war mir ihr Dialekt so unverständlich, daß ich sie geistig nahezu vollständig ausblenden konnte. Aus den Kopfhörern des Flugzeugs kam nichts, dem sich zuzuhören gelohnt hätte, und ohne Audiosignal waren sie ein unvollkommener Ersatz für Ohrstöpsel.
    Sisyphus konnte das Net über Infrarot und die Satellitenverbindung des Flugzeugs erreichen, so daß ich überlegte, ob ich die Berichte abrufen sollte, die ich über die Anwesenheit der Kulte auf Stateless verpaßt hatte – aber ich würde früh genug dort eintreffen, so daß mir eine Vorwegnahme beinahe masochistisch vorkam. Ich zwang mich dazu, meine Aufmerksamkeit wieder auf das Thema der Modelle sämtlicher Topologien zu konzentrieren.
    Die Grundidee der MSTs war recht einfach: Das Universum stellte auf der niedrigsten Ebene eine Mischung aus jeder mathematisch möglichen Topologie dar.
    Selbst in den ältesten Quantentheorien der Gravitation hatte man sich das ›Vakuum‹ der leeren Raumzeit als Gewimmel aus virtuellen Wurmlöchern und anderen, noch exotischeren topologischen Verzerrungen vorgestellt, die ständig zwischen Sein und Nichtsein oszillierten. Daß sich bei makroskopischen Größenordnungen und nach menschlichen Zeitbegriffen der Anschein der Glätte ergab, war nur der sichtbare Mittelwert einer verborgenen Orgie der Komplexität. In gewisser Weise verhielt sich die Raumzeit genauso wie gewöhnliche Materie: Auch eine elastische Plastikfolie verriet dem unbewaffneten Auge nichts über ihre Mikrostruktur – über Moleküle, Atome, Elektronen und Quarks – doch wenn man über diese Bestandteile Bescheid wußte, konnte man die physikalischen Eigenschaften der Makromaterie berechnen, zum Beispiel den Elastizitätsmodul. Die Raumzeit bestand zwar nicht aus Atomen, aber auch ihre Eigenschaften ließen sich verstehen, wenn man davon ausging, daß sie aus einer Hierarchie ineinander verschlungener Abweichungen von der scheinbaren Kontinuität und leichten Krümmung zusammengesetzt war. Die Quantengravitation hatte erklärt, warum die beobachtbare Raumzeit, die aus einer unendlichen Zahl von unsichtbaren Knoten und Schleifen gestrickt war, sich so verhielt, wie sie es in Anwesenheit von Masse (oder Energie) tat – indem sie sich genau auf die Weise krümmte, die nötig war, um die entsprechende Schwerkraft zu erzeugen.
    Die MST-Theoretiker bemühten sich, diese Resultate zu verallgemeinern. Der (relativ) glatte zehndimensionale ›Totalraum‹ der Allgemeinen Vereinheitlichten Feldtheorie, dessen Eigenschaften für alle vier Grundkräfte verantwortlich waren – für die starke, schwache, elektromagnetische und Gravitationskraft – sollte als Resultat einer unendlichen Anzahl von komplexen geometrischen Strukturen erklärt werden.
    Neun räumliche Dimensionen (von denen sechs eng zusammengefaltet waren) und eine zeitliche waren lediglich das, was sichtbar wurde, wenn man den Totalraum nicht zu genau untersuchte. Wenn zwei subatomare Partikel interagierten, bestand jederzeit die Möglichkeit, daß der Raum, den sie beanspruchten, sich statt dessen wie eine zwölfdimensionale Hypersphäre, ein dreizehndimensionaler Doughnut, eine vierzehn-dimensionale Acht oder sonst etwas verhielt. Und genauso wie ein einziges Photon sich gleichzeitig in zwei verschiedenen Richtungen bewegen konnte, konnten auch all diese Möglichkeiten simultan stattfinden und ›miteinander interferieren‹, um das Endresultat zu erbringen. Die zehn allgemeinen Dimensionen waren nicht mehr als ein Durchschnittswert.
    Von den MST-Theoretikern wurden zwei Hauptfragen kontrovers diskutiert.
    Was war genau gemeint, wenn man von ›sämtlichen‹ Topologien sprach? Wie bizarr konnten die Möglichkeiten werden, die zum durchschnittlichen Totalraum beitrugen? Beschränkten sie sich auf jene, die sich mit einer verdrehten und verknoteten höherdimensionalen Plastikfolie realisieren ließen – oder waren auch (vermutlich unendlich viele) weitere Zustände möglich, die eher einer Handvoll verstreuter Sandkörner entsprachen, womit Vorstellungen wie ›Anzahl der

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