Qual
war, hatte man den Gewinn – die Timor-Gap-Ölfelder – mit dem stillen Teilhaber Australien gemeinsam ausgebeutet. 2036 waren eine halbe Million Osttimoresen tot und die Ölvorkommen obsolet geworden – nachdem Kohlenwasserstoffe von gentechnisch veränderten Algen aus Sonnenlicht gewonnen werden konnten, in jeder Größe und Form und zu einem Zehntel der Kosten für die Milchproduktion. Darauf hatte die indonesische Regierung widerstrebend dem Druck nicht der internationalen Verbündeten, sondern der eigenen Bevölkerung nachgegeben und endlich die Forderungen nach einer Autonomie für die Provinz Timor Timur erfüllt. Die offizielle Unabhängigkeit folgte im Jahr 2040. Doch fünfzehn Jahre später waren die Prozesse gegen die Öldiebe immer noch nicht abgeschlossen.
Ich bestieg die Maschine durch den Verbindungstunnel und setzte mich auf meinen Platz. Wenige Minuten später kam eine Frau in hellrotem Sarong und weißer Bluse und setzte sich neben mich. Wir begrüßten uns mit einem Nicken und einem Lächeln.
»Sie glauben nicht, welche Prozeduren ich soeben über mich ergehen lassen mußte«, sagte sie. »Alle Jubeljahre einmal halten meine Leute eine Offnet-Konferenz ab – und dann müssen sie sich dazu ausgerechnet den Ort der Welt aussuchen, der am schwierigsten zu erreichen ist.«
»Sie meinen Stateless?«
Sie warf mir einen Blick voller Mitgefühl zu. »Sie auch?«
Ich nickte.
»Sie Ärmster. Woher sind Sie gekommen?«
»Aus Sydney.«
Ihrem Akzent nach stammte sie mit ziemlicher Sicherheit aus Bombay, doch sie sagte: »Ich komme aus Kuala Lumpur. Also haben Sie den weiteren Weg hinter sich. Mein Name ist Indrani Lee.«
»Andrew Worth.«
Wir schüttelten uns die Hand. »Natürlich halte ich selbst keinen Vortrag«, sagte sie. »Außerdem sind die Protokolle schon am Tag nach dem Ende der Konferenz online. Aber… wenn man nicht persönlich aufkreuzt, verpaßt man den ganzen Tratsch, nicht wahr?« Sie lächelte verschwörerisch. »Die Leute sehnen sich verzweifelt nach einem Gespräch außerhalb des Net – wo keine Aufzeichnung mitläuft, wo keine Gasthörer mitlauschen. Sobald man sie von Angesicht zu Angesicht trifft, sind sie bereit, einem in fünf Minuten all ihre Geheimnisse zu erzählen. Finden Sie nicht auch?«
»Ich hoffe es. Ich bin Journalist – ich berichte für SeeNet über die Konferenz.« Ein riskantes Geständnis, aber ich hatte nicht vor, mich als Theorie-für-Alles-Spezialist auszugeben.
Lee ließ keine offensichtlichen Anzeichen der Verachtung erkennen. Das Flugzeug stieg nahezu vertikal auf. Ich saß am billigen Mittelgang, doch mein Bildschirm zeigte, wie Phnom Penh unter uns zurückfiel – eine erstaunliche Stilmixtur, von rankenumwobenen Steintempeln (real und imitiert) über verblichenen französischen Kolonialbauten (dito) bis zu glänzender schwarzer Keramik. Lees Schirm begann mit einer audiovisuellen Lektion für Notfälle, während ich aufgrund meiner zahlreichen Flüge in identischen Maschinen darauf verzichten durfte.
Als die Vorführung vorbei war, sagte ich: »Dürfte ich Sie nach Ihrem Fachgebiet fragen? Ich meine, daß Sie mit der Theorie für Alles zu tun haben, ist offensichtlich, aber mit welchem Ansatz…?«
»Ich bin keine Physikerin. Was ich mache, kommt Ihrer Arbeit recht nahe.«
»Sie sind Journalistin?«
»Soziologin. Oder wenn Sie eine vollständigere Tätigkeitsbeschreibung möchten: Ich studiere die Dynamik zeitgenössischer Ideen. Und wenn die Wissenschaft der Theoretischen Physik demnächst zum Abschluß gebracht werden soll, dachte ich mir, daß ich dabeisein sollte, um das Ereignis aus unmittelbarer Nähe zu verfolgen.«
»Sie wollen die Wissenschaftler daran erinnern, daß sie ›in Wirklichkeit nur Priester und Geschichtenerzähler‹ sind?« Es sollte scherzhaft klingen, da auch ihre Bemerkung nicht ganz ernst gemeint war. Deshalb hatte ich versucht, diese ironische Ebene aufzugreifen, doch meine Worte wirkten eher wie eine Anschuldigung.
Sie warf mir einen tadelnden Blick zu. »Ich bin keineswegs Mitglied in irgendeinem dieser Ignoranzkulte. Und ich fürchte, Sie hinken zwanzig Jahre hinterher, wenn Sie glauben, die Soziologie sei eine Art Nährboden für die Demütige Wissenschaft oder die Mystische Renaissance. In academia gehören wir jetzt allesamt zur Historischen Fakultät.« Ihr Gesichtsausdruck besänftigte sich zu einer erschöpften Resignation. »Trotzdem beziehen wir immer noch mächtig Prügel. Es ist unglaublich – die
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