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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Dimensionen‹ und ›Raumzeit-Krümmung‹ sinnlos wurden?
    Und wie genau sollte der Durchschnittswert all dieser unterschiedlichen Strukturen berechnet werden? Wie sollte die Summe der unendlichen Anzahl von Möglichkeiten niedergeschrieben und addiert werden, wenn die Theorie zur Anwendungsreife kommen sollte? Wie ließen sich Vorhersagen treffen und eine greifbare physikalische Quantität berechnet werden, die sich im Experiment tatsächlich nachweisen ließ?
    Eine mögliche Antwort auf beide Fragen konnte lauten: »Nehmt einfach das, was euch die richtigen Antworten liefert.« Doch in dieser Hinsicht standen kaum geeignete Kandidaten zur Verfügung – die zudem recht künstlich wirkten. Unendliche Summen waren berüchtigt, daß sie entweder zu starr oder viel zu flexibel waren. Ich notierte mir ein Beispiel, das kaum etwas mit den tatsächlichen Tensor-Gleichungen der MSTs zu tun hatte, aber durchaus geeignet war, den Sachverhalt zu illustrieren:
     
Wenn S =1-1 + 1-1 + 1-1 + 1-…
    Dann S = (1 – 1) + (1 – 1) + (1 – 1) +…
= 0 + 0 + 0…
    = 0
    Aber S = 1 + (- 1 + 1) + (- 1 + 1) + (- 1 + 1)…
= 1 + 0 + 0 + 0…
    = 1
     
    Das war ein mathematisch naives ›Paradoxon‹, denn die Antwort lautete einfach, daß diese spezifischen unendlichen Sequenzen gar keine definitive Summe ergaben. Mathematiker konnten problemlos mit einem solchen Verdikt leben und kannten sämtliche Regeln, um den Fallstricken auszuweichen. Und sogar ihre Software konnte die schwierigsten Fälle recht gut einschätzen. Doch wenn die hart erkämpfte Theorie eines Physikers solche mehrdeutigen Gleichungen hervorbrachte und man vor der Wahl zwischen einem stringenten mathematischen Gesetz oder einer Theorie ohne Potential zu Vorhersagen stand – oder nur eine leichte pragmatische Beugung der Regeln nötig war, um eine Theorie hervorzuzaubern, die hervorragende Ergebnisse lieferte, die mit jedem Experiment übereinstimmten – dann war es kein Wunder, daß sich die Wissenschaftler in Versuchung führen ließen. Schließlich bestand das, was Newton getan hatte, um die Planetenumlaufbahnen zu berechnen, zum größten Teil aus Operationen, bei denen die zeitgenössischen Mathematiker von Tobsuchts- oder Schlaganfällen heimgesucht worden waren.
    Violet Mosalas Ansatz war aus einem ganz anderen Grund so kontrovers. Sie hatte den Nobelpreis dafür erhalten, daß sie akkurate Beweise für ein Dutzend Schlüsseltheoreme der allgemeinen Topologie vorgelegt hatte – Theoreme, die sehr schnell in den mathematischen Werkzeugkasten der MST-Physiker aufgenommen wurden, weil sie Stolpersteine aus dem Weg räumten und Mehrdeutigkeiten auflösten. Mosala hatte mehr als jeder andere geleistet, um die Wissenschaft auf solide Fundamente zu stellen und ihr die Mittel zu verschaffen, vorsichtige Fortschritte zu erzielen. Selbst ihre heftigsten Kritiker erkannten neidlos an, daß ihre Mathematik exakt und ohne jeden Tadel war.
    Das Problem war nur, daß sie ihren Gleichungen zuviel über die Welt verraten hatte.
    Der ultimative Test für eine Universal-Theorie, eine Theorie für Alles, war beispielsweise folgende Frage: »Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Zusammenstoß eines Neutrinos von zehn Gigaelektronenvolt mit einem ruhenden Proton ein Down-Quark herausschlägt und es anschließend in einem bestimmten Winkel weiterfliegt?« Oder auch nur: »Wie groß ist die Masse eines Elektrons?« Im wesentlichen ergänzte Mosala solche Fragen um die Bedingung: »Unter der Voraussetzung, daß wir wissen, die Raumzeit ist annäherungsweise vierdimensional, und die Apparatur, mit der das Experiment durchgeführt wird, erfüllt folgende Bedingungen…«
    Ihre Anhänger hielten dagegen, daß sie einfach nur alles in einen Kontext setzte. Kein Experiment fand in totaler Isolation statt. Die Quantenmechanik hatte in den vergangenen hundertzwanzig Jahren ständig auf diesem Punkt herumgehackt. Von einer Universal-Theorie zu verlangen, die Wahrscheinlichkeit der Beobachtung eines mikroskopischen Ereignisses anzugeben, ohne den Vorbehalt, »daß es ein Universum gibt und daß es neben anderen Dingen eine Vorrichtung enthält, um das fragliche Ereignis zu beobachten«, war genauso unsinnig wie die Frage: »Wenn man einen Kieselstein aus einem Beutel nimmt, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, daß er grün ist?«
    Ihre Kritiker behaupteten, daß sie mit Zirkelschlüssen arbeitete, daß sie bereits alle Resultate voraussetzte, die sie beweisen wollte. Die

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