Qual
einfach nur das, was es tut, und mehr nicht.
Menschen sind das genaue Gegenteil. Es gibt nichts, auf das wir mehr Zeit, Energie und Mühe verwenden, als die Vertuschung der Wahrheit.«
Aus der Luft war Osttimor ein dichter Flickenteppich aus Feldern entlang der Küste und einer Mischung aus Urwäldern und Savannen auf dem Hochland. Ein Dutzend winziger Feuer verteilte sich über die Berge, doch die geschwärzten Nadelstiche unter den Rauchwolken waren winzig im Vergleich zu den offenen Narben alten Tagebaus. Wir gingen in einer gewundenen Spirale über der Insel nach unten, während Hunderte von kleinen Dörfern in Sicht kamen und wieder verschwanden.
Die Felder waren nicht mit Firmenlogos pigmentiert (ganz zu schweigen von BioTech-Markenzeichen der vierten Generation). Zumindest äußerlich verweigerten sich die Bauern der Versuchung, abtrünnig zu werden, und benutzten nur alte Nutzpflanzen, deren Patente abgelaufen waren. Der Ackerbau für den Export war nahezu vollständig zum Erliegen gekommen – sogar ein hyper-urbanisiertes Land wie Japan konnte seine eigene Bevölkerung ernähren. Nur die ärmsten Nationen, die sich nicht die Lizenzgebühren für moderne Er-Zeugnisse leisten konnten, kämpften um die Selbstversorgung. Osttimor importierte seine Lebensmittel aus Indonesien.
Es war kurz nach Mittag, als wir in der winzigen Hauptstadt landeten. Da es keinen Verbindungstunnel gab, gingen wir zu Fuß über den glühenden Asphalt. Das von meiner Pharmaeinheit vorprogrammierte Melatonin-Pflaster auf der Schulter paßte mich gnadenlos der Stateless-Zeitzone an, in der es zwei Stunden später als in Sydney war, während Dili zwei Stunden in der anderen Richtung lag. Zum ersten Mal in meinem Leben verspürte ich einen Jetlag, und der Anblick der grellen Mittagssonne verursachte mir körperliches Unbehagen. Mir kam in den Sinn, wie erstaunlich effektiv das Pflaster normalerweise arbeitete, wenn ich in Frankfurt oder Los Angeles landen konnte, ohne das geringste Gefühl enttäuschter Erwartungen zu verspüren. Ich fragte mich, wie ich mich gefühlt hätte, wenn die Uhr meines Hypothalamus sklavisch an die lokalen Zeitzonen angepaßt worden wäre, während ich meine absurden Schleifen flog. Besser, schlechter… oder irritierend normal, weil ein Teil meiner Zeitwahrnehmung als simpelster biochemischer Prozeß offenbart wurde.
Im einstöckigen Flughafengebäude wimmelte es vor Menschen. Es waren mehr Leute anwesend, die Reisende verabschiedeten oder begrüßten, als ich jemals in Bombay, Shanghai oder Mexico City erlebt hatte, und mehr uniformiertes Personal als auf irgendeinem anderen Flughafen dieses Planeten. Ich stand hinter Indrani Lee in der Schlange, die die zweihundert Dollar Transitsteuern bezahlen mußte. Schließlich hatte dieser Zwischenstopp beinahe eine Monopolstellung, was die Verbindungen nach Stateless betraf. Es war reine Erpressung… aber man konnte dem Land kaum einen Vorwurf wegen dieses Opportunismus machen. Wie sonst sollte es an die ausländischen Devisen kommen, die es benötigte, um Lebensmittel zu kaufen? Ich drückte ein paar Tasten auf meinem Notepad, und Sisyphus antwortete: ›Nur unter größten Schwierigkeiten.‹
Osttimor besaß keine Vorräte der wenigen exotischen Mineralien, die immer noch gefördert werden mußten, um die nach dem Recycling noch übrigen globalen Bedürfnisse zu befriedigen, und das Land war schon vor langem aller anderen Dinge beraubt worden, die für die einheimische Industrie nützlich sein könnten. Der Handel mit Sandelholz war nach internationalen Bestimmungen verboten, zumal biotechnische Spezies ohnehin einen besseren und billigeren Rohstoff lieferten. Einige Elektronik-Multis hatten in Dili Werke für Halbfertigprodukte errichtet, und zwar während der kurzen Phase, in der die Unabhängigkeitsbewegung endgültig niedergeworfen schien, doch sie waren alle in den Zwanzigern wieder geschlossen worden, als die Automation billiger als die billigste körperliche Arbeit geworden war. Damit blieben nur noch Tourismus und Kultur übrig. Doch wie viele Hotels konnte man hier füllen? (Zwei kleine mit einer Gesamtzahl von dreihundert Betten.) Und wie viele Einwohner konnten ihren Lebensunterhalt als Schriftsteller, Musiker oder Künstler im weltweiten Net bestreiten? (Vierhundertundsieben.)
Theoretisch war Stateless mit denselben Grundproblemen und noch einigen weiteren konfrontiert. Doch Stateless war von Anfang an in einer Außenseiterposition gewesen –
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