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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Armen und Beinen. Die Haare einiger Leute waren unverkennbar zerzaust, und das Gesicht eines Mannes war naß.
    »Worin tauchen sie? In der Wasserversorgung der Insel?« In spezialisierten Teichen draußen im Riff wurde Meerwasser entsalzt, und das Trinkwasser wurde aufs Land gepumpt, um den Verlust beim Recycling der Abwässer auszugleichen.
    »Das wäre eine ziemliche Herausforderung«, sagte Munroe. »Keine der Wasserleitungen ist dicker als der Arm eines Menschen.«
    Ich blieb in respektvollem Abstand zur Gruppe stehen, da ich mir wie ein Störenfried vorkam. Munroe ging weiter und drängte sich behutsam in den äußeren Kreis. Niemand schien etwas dagegen zu haben oder uns überhaupt größere Beachtung zu schenken. Schließlich fiel mir auf, daß die Markisen viel heftiger flatterten, als man bei dem sanften Ostwind erwarten sollte. Also ging auch ich näher heran und spürte schließlich den starken, kühlen Luftstrom, der aus dem Schacht kam und einen feuchten Geruch nach Mineralien mit sich trug.
    Als ich den Leuten über die Schulter schaute, sah ich, daß die Öffnung des Schachts von einer kniehohen Mauer eingefaßt war, die aus dunklerem Riff-Fels oder festeren Biopolymeren bestand. Darin war eine nun vollständig geöffnete Iris-Blende eingelassen. Die Winde, die ein paar Meter entfernt stand, wirkte von hier aus monströs, viel zu groß und industriell, um lediglich einem zwanglosen Freizeitvergnügen zu dienen. Das Kabel war dicker, als ich erwartet hatte. Ich versuchte, die Gesamtlänge abzuschätzen, aber die Verkleidung der Trommel verbarg die Anzahl der aufgewickelten Kabelschichten. Der Motor arbeitete lautlos bis auf das Zischen der Luft über den magnetischen Elementen, doch das Kabel knarrte leise, während es über den quietschenden Flaschenzug unter dem Portal auf die Trommel gewickelt wurde.
    Niemand sprach. Es schien nicht der richtige Augenblick zu sein, um Fragen zu stellen.
    Plötzlich hörte ich ein keuchendes Geräusch, beinahe ein Schluchzen. Die Menge wurde unruhig, und jeder reckte erwartungsvoll den Hals. Eine Frau kam durch den Schacht herauf. Sie trug Atemflaschen auf dem Rücken und eine Tauchermaske, die sie auf die Stirn hochgeschoben hatte, und sie klammerte sich fest an das Kabel. Sie war naß, aber nicht triefnaß – also mußte es zum Wasser recht tief hinuntergehen.
    Die Winde hielt an. Die Frau löste eine Sicherheitsleine vom Kabel, mit der ihre Taucherausrüstung befestigt war, dann griffen einige Leute nach ihr, um ihr über die Brüstung und dann auf den festen Boden zu helfen. Ich trat vor und sah eine kleine runde Plattform – ein Gitter aus Plastikröhren – auf dem sie gestanden hatte. Außerdem war eine Lampe am Kabel befestigt, etwa anderthalb Meter über der Plattform.
    Die Frau wirkte recht mitgenommen. Sie entfernte sich einige Schritte von der Gruppe, wobei sie leicht schwankte, bis sie sich auf den Felsboden hockte und zum Himmel hinaufblickte, immer noch außer Atem. Dann nahm sie langsam und methodisch die Luftflaschen und die Maske ab und legte sich auf den Rücken. Sie schloß die Augen, streckte die Arme aus und legte die Hände flach auf den Boden.
    Ein Mann und zwei heranwachsende Mädchen hatten sich von den anderen gelöst. Sie standen in der Nähe und beobachteten besorgt die Frau. Ich fragte mich bereits, ob sie vielleicht medizinische Hilfe benötigte – und wollte gerade Sisyphus darum bitten, meine Erinnerung an die Symptome eines Herzanfalls und an Erste Hilfe im Notfall aufzufrischen – als sie plötzlich auf die Beine sprang und strahlend lächelte. Sie sprach aufgeregt mit ihrer Familie – offenbar in einer polynesischen Sprache. Ich verstand kein einziges Wort, aber sie klang begeistert.
    Die Anspannung verflog, und alle anderen lachten und redeten durcheinander. Munroe blickte sich zu mir um. »Vor Ihnen sind noch acht weitere Leute an der Reihe – aber ich verspreche Ihnen, daß sich das Warten lohnt.«
    »Ich weiß nicht recht. Was immer sich da unten befinden mag – ich bin überzeugt, daß meine Versicherung jede Verantwortung ablehnt.«
    »Ich bezweifle, daß Ihre Versicherung hier auf Stateless für eine Fahrt mit der Straßenbahn gilt.«
    Ein schlanker junger Mann in geblümten Shorts legte die Taucherausrüstung an, die zuvor die Frau getragen hatte. Ich stellte mich ihm vor. Er wirkte nervös, aber er schien nichts dagegen zu haben, mit mir zu reden. Sein Name war Kumar Rajendra, ein indischstämmiger Hoch- und

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