Qual
und Musiktourneen, reale und virtuelle Kunstausstellungen organisierte und sich vehement gegen kulturellen Isolationismus und die Diskriminierung von ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten einsetzte, bezweifelte ich, daß sie genügend Zeit fanden, sich Sorgen um Violet Mosala zu machen.
Der verstorbene Muteba Kazadi hatte den Begriff technolibération geprägt, um damit die gleichzeitige Machterweiterung des Menschen durch die Technik und die ›Befreiung‹ der Technik aus restriktiven Händen zu bezeichnen. Muteba war Kommunikationsexperte, Dichter, Wissenschaftsautor und in den späten Dreißigern Entwicklungsminister in Zaire gewesen. Ich hatte einige seiner Ansprachen gesehen, leidenschaftliche Forderungen nach ›der Anwendung von Wissen im Dienst der Freiheit‹. Er hatte verlangt, daß die Patente auf biotechnische Nutzpflanzen aufgehoben wurden, daß die Kommunikationsquellen in öffentliches Eigentum überführt wurden und daß jeder freien Zugang zu wissenschaftlichen Informationen erhielt. Neben dem offensichtlich pragmatischen Engagement für die ›Befreite Biologie‹ (obwohl Zaire niemals abtrünnig geworden war und unlizensierte Pflanzen angebaut hatte) war er dafür eingetreten, daß die afrikanischen Nationen langfristig Grundlagenforschung in allen wissenschaftlichen Bereichen betreiben mußten – ein außergewöhnlicher Standpunkt zu einer Zeit, als solche Aktivitäten in den reichsten Ländern des Planeten als äußerst unpopulär galten, und für seine eigene Regierung praktisch undenkbar, weil sie völlig andere Prioritäten setzen mußte.
Darüber hinaus neigte Muteba zu exzentrischen Ansichten – darin waren sich seine drei Biographen einig. Er hatte einen Hang zur Metaphysik von Nietzsche, zu exotischen Kosmologien und dramatischen Verschwörungstheorien – zum Beispiel zu jener alten, nach der ›El Nido de Ladrones‹, die Zuflucht, die von Drogenschmugglern mit biotechnischen Mitteln an der peruanisch-kolumbischen Grenze erbaut worden war, im Jahre 2035 nicht deswegen mit einer Wasserstoffbombe ausradiert worden war, weil der manipulierte Wald außer Kontrolle geraten war und das gesamte Amazonasbecken zu überwuchern drohte, sondern weil dort ein neuroaktives Virus mit ›gefährlichen befreienden Eigenschaften‹ erfunden worden war. Tausende von Menschen waren gestorben, die Maßnahme war allgemein als Greueltat verurteilt worden, und die öffentliche Empörung hatte möglicherweise dafür gesorgt, daß Stateless ein ähnliches Schicksal erspart geblieben war. Aber die prosaischere Erklärung war meiner Ansicht nach trotzdem wesentlich wahrscheinlicher.
Gebildete Kommentatoren aus jedem Teil des Kontinents beteuerten, daß Mutebas Erbe noch immer lebendig war und daß stolze technolibérateurs überall in Afrika und darüber hinaus aktiv waren. Doch es erwies sich als schwierig, seine direkten intellektuellen Nachfahren zu identifizieren, denn Hunderte von akademischen und politischen Gruppen sowie Zehntausende von Individuen beriefen sich auf Muteba als Inspirationsquelle. Viele Personen, die sich in Net-Debatten gegen die PAKVF ausgesprochen hatten, bezeichneten sich selbst ausdrücklich als technolibérateurs, doch jeder von ihnen schien seine Philosophie für leicht unterschiedliche Programme adaptiert zu haben. Ich hatte keinen Zweifel, daß jeder von ihnen entsetzt über die Vorstellung wäre, Violet Mosala könnte zu Schaden kommen – aber ich wußte genausowenig, wer unter Umständen alles tun würde, um sie zu beschützen.
Gegen sieben ging ich wieder nach unten. Sarah Knight hatte immer noch nicht auf meinen Anruf geantwortet, aber ich konnte ihr kaum einen Vorwurf machen, daß sie mich schnitt. Ich dachte erneut daran, ihr anzubieten, das Projekt zurückzugeben, aber ich sagte mir, daß es dazu wohl schon zu spät war und daß sie vermutlich längst an einem anderen Auftrag arbeitete. Die Wahrheit sah jedoch ganz anders aus: Je mehr die Verwicklungen rund um Mosala meine Phantasien über die ›gefahrlosen‹ Abstraktionen der UT zunichte machten, desto unvorstellbarer wurde es für mich, aus der Geschichte auszusteigen. Wenn die Wirklichkeit hinter der Illusion so aussah, war ich verpflichtet, mich ihr zu stellen.
Ich war gerade auf dem Weg zum Restaurant, als ich Indrani Lee entdeckte, die durch einen Korridor in die Lobby kam. Sie war in Begleitung einer kleinen Gruppe, die sich soeben auflöste – und den Eindruck machte, als wären die Leute
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