Qual
nur ein unverständliches Chaos.
Ich dachte: Endlich ein Hauch von Mitgefühl. Wenn auch nur ein Teil davon auf Gegenseitigkeit beruhte – wenn die MR sich angesichts einer UT nur halb so entfremdet und ausgegrenzt fühlte, wie es mir angesichts ihrer verrückten Ideen ging, die dem Boden unter meinen Füßen Gestalt gaben – dann hatte ich endlich verstanden, warum sie hierher gekommen waren.
Die Schauspieler verbeugten sich. Einige Leute, hauptsächlich andere Kultisten in Phantasiekostümen, applaudierten. Ich vermutete, daß das Stück ein Happy End gehabt hatte, denn ich hatte es nicht mehr verfolgt. Ich holte mein Notepad hervor und transferierte zwanzig Dollar auf das Gerät, das die Leute auf den Boden gestellt hatten. Sogar Jungianer in Clownskostümen mußten essen – das Erste Gesetz der Thermodynamik.
Ich wandte mich wieder an Indrani Lee. »Sagen Sie mir ganz ehrlich: Sind Sie wirklich der einzige Mensch, der aus jeder Kultur, jedem Glaubenssystem und jeder subjektiven Verwirrung heraustreten kann, um die Wahrheit zu erkennen?«
Sie nickte in bescheidener Selbstverständlichkeit. »Natürlich bin ich das. Sie etwa nicht?«
Als ich wieder auf meinem Zimmer war, starrte ich verständnislos auf die erste Seite von Helen Wus kontroversestem Artikel in der Physical Review – während ich mir überlegte, wie Sarah Knight im Verlauf ihrer Recherchen für Violet Mosala auf die Anthrokosmologisten gestoßen sein könnte. Vielleicht hatte Kuwale vom Projekt gehört und Kontakt mit ihr aufgenommen, genauso wie hie es mit mir getan hatte.
Wie konnte hie davon gehört haben?
Sarah kam zwar aus der Politik, aber sie hatte bereits eine wissenschaftliche Dokumentation für SeeNet fertiggestellt. Ich konsultierte die Programmverzeichnisse. Der Titel lautete Was die Welt zusammenhält… und es ging um exotische Kosmologien. Es sollte erst im Juni auf Sendung gehen, aber es war im SeeNet-Archiv gespeichert – zu dem ich vollen Zugang hatte.
Ich sah mir die gesamte Sendung an. Sie begann mit nahezu orthodoxen (aber wahrscheinlich unbeweisbaren) Theorien wie parallelen Quantenuniversen (die von einem einzigen Urknall ausgingen) oder multiplen Big Bangs, die aus dem Prä-Raum mit unterschiedlichen physikalischen Konstanten erstarrten. Dann ging es weiter mit Universen, die sich durch schwarze Löcher ›reproduzierten‹ und eine ›mutierte‹ Physik an ihre Nachkommen weitergaben… bis hin zu noch exotischeren und phantastischeren Konzepten, die den Kosmos als zellulären Automaten betrachteten, als zufälliges Nebenprodukt einer körperlosen platonischen Mathematik, als ›Wolke‹ aus zufälligen Zahlen, die ihre Form nur der Tatsache verdankte, daß eine der möglichen Formen zufällig bewußte Beobachter einschloß.
Nirgendwo wurden die Anthrokosmologisten erwähnt, aber vielleicht hatte Sarah sie sich für ein späteres Projekt aufgehoben – wenn sie ihr Vertrauen gewonnen hatte und sich ihrer Kooperation sicher sein konnte. Oder sie hatte sie sich für Violet Mosala aufgehoben, wenn es eine konkrete Verbindung zwischen diesen beiden Themen gab – wenn es mehr als ein Zufall war, daß Kuwale ein Anhänger von beiden war.
Ich schickte Sisyphus los, um die Winkel und Ritzen der interaktiven Version von Was die Welt zusammenhält abzugrasen, aber es gab keine versteckten Referenzen, keine Hinweise, daß noch mehr kommen sollte. Und keine öffentliche Datenbank des Planeten enthielt einen einzigen Eintrag über AK. Jeder Kult beschäftigte Image-Manager, die für eine angemessene Medienrepräsentanz sorgen sollten… aber totale Unsichtbarkeit deutete eher auf außergewöhnliche Disziplin statt kostenintensive Öffentlichkeitsarbeit hin.
Der Kult der Anthrokosmologisten. Was bedeutete das? Menschliches Wissen über das Universum? Es war keine Bezeichnung, deren Sinn sofort einleuchtete. Dagegen ließen die Mystische Renaissance, die Demütige Wissenschaft und Kultur zuerst! einen nicht lange im unklaren über ihre Prioritäten.
Allerdings enthielt der Begriff eins der großen Worte.
Kein Wunder, daß es opponierende Fraktionen gab – eine zentrale Hauptrichtung und Randgruppen.
Ich schloß die Augen. Ich glaubte zu hören, wie die Insel atmete, unablässig ein- und ausatmete – und wie der unterirdische Ozean tief unter mir am Felsen nagte.
Ich öffnete die Augen. Hier im Stadtzentrum mußte ich mich genau über dem Guyot befinden. Unter dem Riff-Fels lag fester Basalt und Granit, der bis zum
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