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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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»Ja. Ja, das hat er. Und ich glaube,
er wird gleich noch jemanden reinlegen.«
    Es ist schon früh am Morgen, als wir uns eine Ruhepause gönnen.
Irgendwann haben wir es bis in mein Schlafzimmer geschafft. Ich lehne mich mit
halb geschlossenen Augen in die Kissen zurück und sehe sie an. Sie liegt auf
der anderen Seite des Betts, nackt bis auf ihre befristete UHR , mit immer noch halb geöffneten Flügeln, die im
Licht des Morgens schimmern.
    »War ich nicht eine gute Lehrerin?«, fragt sie.
    »O doch. Waren wir … du weißt schon, allein?«
    »Ach, du machst dir Sorgen um die Gefühle der armen Mieli? Welch
rührende Anhänglichkeit. Ich muss gestehen, was sie betrifft, bin ich auch ein
wenig sentimental. Es ist wie mit einem Lieblingsstift oder einem
Glücksbringer.« Sie streckt sich. Sogar die Narbe wirkt auf ihrem Gesicht
anders, verschmitzter. »Aber keine Sorge, sie ist beim Schiff. Außer uns beiden
ist niemand hier. Ich habe dich ganz für mich allein. Ich hätte schon früher
kommen sollen, aber es gibt eben nicht unbegrenzt viele von mir.«
    »Ich kann kaum glauben, dass ich mich nicht an dich erinnern kann«,
sage ich. »Allerdings – als ich das Gefängnis verließ, hatte ich eine
Blitzerinnerung. An ein anderes Gefängnis auf der Erde. Ich las in einem Buch
–«
    »Das war unsere erste Begegnung.« Sie nickt zustimmend. »Damals
warst du ein Kleinkrimineller, der sich auf den Straßen der großen Stadt
herumtrieb und noch den Wüstensand zwischen den Zehen hatte. Ungeschliffen und
unglaublich mutig. Und nun sieh dich heute an. Ein Diamant. Jedenfalls wirst du
bald wieder einer sein. Und dann …« Sie lächelt. »… und dann kannst du mir richtig danken.«
    »Du hast mit angehört, was ich zu Mieli sagte, nicht wahr?«, frage
ich. »Ich bin nicht einverstanden, dass ihr mit den Kryptarchen
zusammenarbeitet.«
    Sie winkt ab. »Unsinn. Jean, du hast keine Ahnung, was hier wirklich
vorgeht. Sie haben mit der Oubliette gute Arbeit geleistet. Sie funktioniert . Die Leute sind gern hier. Selbst du hast bei deinem letzten Aufenthalt gedacht, du wärst
hier glücklich.« Ihr Blick wird eine Spur gehässig. »Ich glaube, dein
Idealismus hat weniger mit Politik zu tun, du willst vielmehr dieses kleine
Luder mit den Sommersprossen beeindrucken.«
    »Ein Gefängnis ist ein Gefängnis, auch wenn man nicht weiß, dass es
eines ist«, versetze ich. »Und ich mag nun einmal keine Gefängnisse.«
    »Armer Kleiner. Das weiß ich doch.«
    »Weißt du denn auch, was ich noch nicht mag? Wenn man seine
Versprechen nicht hält.« Ich schlucke. »Ich weiß, ich stehe in deiner Schuld.
Und ich werde meine Schulden bezahlen, ganz gleich, was geschieht. Aber mein
Versprechen breche ich nicht, nicht einmal für dich.«
    »Und wie willst du dein Versprechen halten, mein kleiner
Blumenprinz?«
    »Nun ja«, antworte ich. »Ich habe versprochen, ein braver Junge zu
sein. Also werde ich mich als Erstes verhaften lassen.«
    »Was?«
    »Du kennst doch die Q-Spinne, die ich gezüchtet hatte? Für den Trick
mit dem ZEIT -Diebstahl. Nun, ich habe zwei davon
gemacht. Ich schaue auf meine UHR . »Bei Mieli
hätte das nie funktioniert. Ich muss schon sagen, sie kennt mich viel besser
als du. Und du warst viel anfälliger für gewisse … Ablenkungen: Du hättest
merken müssen, wie ich sie gestern Abend zu bezirzen versuchte, ohne Erfolg.
Aber du? Dir wird gleich die ZEIT ausgehen.«
    Sie bewegt sich schneller, als ich zu folgen vermag. Ihr Knie presst
sich schmerzhaft in meinen Magen, ihre Hände legen sich um meinen Hals. Ihr
Gesicht ist wutverzerrt. Ich kann nicht atmen, sehe aber, wie der Zeiger ihrer UHR auf Null zutickt –
    »Ich … werde … dich …«, kreischt sie.
    Ihre UHR gibt ein leises blechernes ping von sich. Und sie selbst verwandelt sich in eine
schwarze Statue. Man kann über die Technologie der Oubliette sagen, was man
will, das befristete Gevulot-System, das man den Besuchern zur Verfügung
stellt, ist ziemlich gut, fast so gut wie der Nanonebel für militärische
Zwecke. Man tritt nicht ins Schweigen ein, aber die Vitalfunktionen werden
ausgeschaltet, und man wird vom Rest der Welt abgeschnitten. Ihr Griff um
meinen Hals lockert sich und sie, eine geflügelte Figur aus schwarzem Marmor,
kullert von meinem Bett und bleibt reglos liegen.
    Leise vor mich hin pfeifend dusche ich und kleide mich an. Unten in
der Hotelhalle ziehe ich den Hut vor dem Einwanderungsbeamten in der weißen
Uniform und den beiden großen

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