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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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ungerührt, »denken werden, Sie hätten
etwas damit zu tun.«
    »Wieso? Weil ich ihn gefunden habe? Ich hatte gerade so viel von
seinem Gevulot, dass ich wusste, wie er mit Nachnamen heißt.«
    »Weil alles zusammenpasst. Sie sind aus der Ersten Generation, das
sehe ich an Ihrem Gang. Und das heißt, Sie haben fast ein Jahrhundert im
Schweigen verbracht. Das kann mit dem Geist eines Menschen seltsame Dinge
anstellen. Manchmal ist es so schlimm, dass die betreffende Person wieder eine
Maschine werden will . Die Gogol-Piraten könnten
diesen Wunsch erfüllen, wenn auch nicht umsonst. Man müsste ihnen einen
Gefallen tun. Ihnen zum Beispiel helfen, das Bewusstsein eines weltberühmten
Chocolatiers zu stehlen –«
    Ihr Gevulot schließt sich vollends, sie hüllt sich in ihre
Privatsphäre ein und wird zum verschwommenen Platzhalter. Zugleich hört Isidore
für sie auf zu existieren. Doch das dauert nur einen Moment. Dann ist sie
wieder zurück, die Augen geschlossen, die Fäuste so fest an die Brust gepresst,
dass sich die Knöchel weiß von der dunklen Haut abheben. Als wollte sie etwas
drinnen halten.
    »So war es nicht«, sagt sie ruhig.
    »Nein«, sagt Isidore. »Weil Sie nämlich eine Affäre mit ihm hatten.«
    Seine UHR kratzt an seinem
Bewusstsein. Die Frau bietet ihm einen Gevulot-Kontrakt an, es ist, als reichte
sie ihm zaghaft die Hand. Er nimmt das Angebot an: Die nächsten Minuten des
Gesprächs werden nicht in seinen Exospeicher aufgenommen.
    »Sie sind wirklich nicht wie die anderen, nicht wahr? Wie die
Zaddikkim.«
    »Nein«, sagt Isidore. »Das ist richtig.«
    Sie hält eine Praline hoch. »Wissen Sie, wie schwierig es ist,
Schokolade herzustellen? Wie lange es dauert? Er hat mir gezeigt, dass
Schokolade mehr ist als Naschwerk, dass sie etwas ist, was man mit eigenen
Händen erschafft, etwas, wobei man sich selbst einbringen kann. Etwas Echtes.«
Sie umschließt die Praline mit der Hand wie einen Talisman.
    »Ich habe lange Zeit im Schweigen verbracht. Sie wissen nicht, wie
das ist, Sie sind noch zu jung. Man ist man selbst und doch auch wieder nicht:
Der Teil von einem, der spricht , tut andere Dinge, er
tut, was eine Maschine tut. Und nach einer Weile ist das der Normalzustand.
Selbst hinterher. Man fühlt sich irgendwie fehl am Platz. Wenn einem nicht
jemand hilft, sich wiederzufinden.«
    Sie legt die weich gewordene Praline beiseite. »Die Wiedererwecker
sagen, sie können ihn nicht zurückholen.«
    »Miss Lindström, wenn Sie mir helfen, vielleicht doch.«
    Ihr Blick richtet sich auf das Kleid. »Wissen Sie, wir haben es
gemeinsam geschaffen. Ich habe einst in der Monarchie so eines getragen.« Ihr
Blick verliert sich in weiter Ferne.
    »Warum nicht?«, sagt sie dann. »Kosten wir davon. Schon allein zum
Andenken an ihn.«
    Lindström holt hinter der Theke ein kleines Metallwerkzeug hervor
und öffnet zögernd die Glastür. Unendlich vorsichtig schabt sie einen kleinen
Splitter vom Saum des Kleides ab und schiebt ihn sich in den Mund. Daraufhin
steht sie fast eine Minute regungslos da. Ihr Ausdruck ist unergründlich.
    Dann werden ihre Augen groß. »Da stimmt etwas nicht«, sagt sie.
»Ganz und gar nicht. Die Kristallstruktur ist eine andere. Und der Geschmack …
Das ist nicht die Schokolade, die wir gemacht haben. Sie ist sehr ähnlich, aber
es ist nicht dasselbe.« Sie reicht Isidore ein kleines Stück; es zergeht ihm
sofort auf der Zunge und hinterlässt einen bitteren, leicht nussigen Geschmack.
    Isidore lächelt. Das Triumphgefühl ist fast stark genug, um die
Nervosität, in die ihn Pixils Qupt versetzt hat, aus seinem Bewusstsein zu
löschen.
    »Darf ich fragen, worin der Unterschied besteht? Technisch gesehen?«
    Ihre Augen leuchten auf. Sie leckt sich die Lippen. »Es sind die
Kristalle. In der letzten Phase wird die Schokolade immer wieder erhitzt und
abgekühlt, bis man eine Masse hat, die bei Zimmertemperatur nicht schmilzt.
Schokolade enthält Kristalle: Sie hat eine Symmetrie, die das Ganze
zusammenhält. Diese ist aus Hitze und Kälte entstanden. Wir streben immer den
Typ V an, aber hier ist viel zu viel Typ IV drin, das merkt man an der Struktur.« Mit einem Mal
sind alles Zögern, alle Unsicherheit wie weggeblasen. »Woher wussten Sie das?
Was ist aus meinem Kleid geworden?«
    »Das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass Sie dieses
Kleid hier auf keinen Fall verkaufen. Bewahren Sie es gut auf. Und
würden Sie mir bitte auch ein kleines Stückchen davon geben? Ja, so ist es

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