Quantum
gelangt man hinauf in ein zweites Stockwerk. Die Frau führt ihn in ein
gemütliches Wohnzimmer und setzt sich neben eines der großen Fenster auf einen
Holzstuhl, der gerade groß genug ist für ein Kind. Sie zieht eine xantheische
Zigarette aus der Tasche und nimmt die Kappe ab: die Spitze entzündet sich
selbst, ein bitterer Duft verbreitet sich im Raum. Isidore sitzt vornüber
gebeugt auf einem niedrigen grünen Sofa und wartet. Es ist noch jemand im Raum,
verborgen in einem Privatsphärenebel: Vermutlich die Tochter, denkt der
Detektiv.
»Ich sollte Ihnen wohl etwas anbieten – einen Kaffee vielleicht«,
sagt die Frau endlich, macht aber keine Anstalten, sich zu erheben.
»Ich mache das«, sagt die Stimme eines Mädchens. Isidore erschrickt,
als sie plötzlich ihr Gevulot öffnet und wie aus dem Nichts neben ihm
erscheint. Sie ist sechs bis sieben Marsjahre alt: ein blasser, schlaksiger
Teenager mit neugierigen braunen Augen. Sie trägt ein neues xantheisches Kleid,
einen formlosen Schlauch, der Isidore entfernt an die Zoku-Mode erinnert.
»Nein, danke«, sagt Isidore. »Ich bin ganz zufrieden.«
»Ich brauchte Sie nicht einmal zu blinkern«, sagt das Mädchen. »Ich
habe den Ares-Boten gelesen. Sie helfen den Zaddiks.
Sie haben die verlorene Stadt gefunden. Kennen Sie auch die Stille?« Sie kann
keinen Moment ruhig sitzen, hüpft ständig auf den Polstern auf und ab.
»Élodie«, sagt die Frau mahnend. »Kümmern Sie sich nicht um meine
Tochter, sie hat keine Manieren.«
»Man wird ja wohl noch fragen dürfen.«
»Die Fragen stellt der junge Mann hier, nicht du.«
»Du darfst nicht alles glauben, was in der Zeitung steht, Élodie«,
sagte Isidore. Dann sieht er sie ernst an. »Das mit deinem Vater tut mir sehr
leid.«
Das Mädchen schaut zu Boden. »Sie werden ihn doch wieder hinkriegen,
oder?«
»Ich hoffe es«, sagte Isidore. »Ich versuche, ihnen zu helfen.«
Die Frau des Chocolatiers lächelt Isidore müde an, schließt aber
ihre Worte vom Gevulot ihrer Tochter aus.
»Sie hat uns schon so viel gekostet. Ein törichtes Kind.« Sie
seufzt. »Haben sie Kinder?«
»Nein«, sagt Isidore.
»Sie machen mehr Ärger, als sie wert sind. Es ist seine Schuld. Er
hat Élodie zu sehr verwöhnt. »Die Frau des Chocolatiers fährt sich mit den
Händen durch das Haar, in einer Hand hält sie noch die Zigarette, und Isidore
hat Angst, dass die seidige Mähne Feuer fangen könnte. »Es tut mir leid, ich
sage schreckliche Dinge, wenn er noch … irgendwo ist. Er ist ja nicht einmal im
Schweigen.«
Isidore sieht sie an. Er ist die Ruhe selbst. Es fasziniert ihn
immer wieder, wie sich die Leute verhalten, wenn sie das Gefühl haben, mit
einem reden zu können: Er fragt sich kurz, ob er diese Fähigkeit als Zaddik
wohl verlieren würde. Aber dann hätte er andere Möglichkeiten, um Dinge in
Erfahrung zu bringen.
»Haben Sie bemerkt, dass M. Deveraux in letzter Zeit neue Freunde
gefunden hat?«
»Nein. Wieso?«
Élodie sieht ihre Mutter müde an. »Weil sie so vorgehen, Mama. Die
Piraten. Soziale Manipulation. Sie sammeln Teile deines Gevulot, um dein
Bewusstsein entschlüsseln zu können.«
»Aber warum sollten sie es gerade auf ihn abgesehen haben? Er war doch nichts Besonderes. Er konnte nur Schokolade
machen. Ich mag Schokolade nicht einmal.«
»Ich glaube«, sagt Isidore, »Ihr Mann war genau die Art von
Persönlichkeit, an der die Gogol-Piraten interessiert wären – ein Spezialist.
Der Sobornost kann nie genug Modelle für das Tiefenlernen bekommen, und er ist
ganz versessen auf menschliche Sensorien, vor allem auf Geschmack und Geruch.«
Er achtet darauf, Élodie in das Gevulot des Gesprächs mit
einzubeziehen. »Seine Schokolade ist auf jeden Fall etwas Besonderes. Seine
Verkäuferin war so freundlich, mich probieren zu lassen, als ich sie im Laden
aufsuchte. Ganz frisch. Einen Splitter von dem Kleid, das erst heute Morgen aus
der Fabrik kam. Ein unbeschreibliches Erlebnis.«
Élodies Gesicht verzerrt sich, ihre Empörung ist wie ein Echo auf
den Tod des Chocolatiers. Dann verschwindet sie hinter dem Schleier vollkommener
Privatsphäre, springt auf und stürmt hastig die Treppe hinauf. Bei der geringen
Schwerkraft schafft sie es in drei Sätzen.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagt Isidore. »Ich wollte
sie nicht aus der Fassung bringen.«
»Keine Sorge. Sie hat sich bisher tapfer gehalten, aber es ist für
uns alle nicht einfach.« Die Frau drückt ihre Zigarette aus und wischt
Weitere Kostenlose Bücher