Quantum
halten.«
Das Muskelgedächtnis ist immerhin zurückgekehrt, also falle ich in
den tiefen, gleitenden John-Carter-Laufschritt der hochgewachsenen Marsianer um
uns herum und ziehe davon.
Die Mode hat sich verändert, während ich weg war. Die unscheinbaren
weißen Hemden und Hosen, die auf der alten Revolutionsuniform basieren, sind
nicht mehr so stark vertreten. Stattdessen sieht man Rüschen und Hüte und
wallende Kleider im Stil der Monarchie neben abstrakten Kreationen aus
Zoku-Nanomaterie, die mehr Geometrie als Kleidung sind. Fast niemand verbirgt
sich hier hinter einem vollen Gevulot-Privatsphäreschutz. Wenn man auf der
Allee flaniert, stellt man sich eher zur Schau.
Die einzige Konstante sind natürlich die UHREN
– UHREN aller Art, in Armbändern und Gürtelschnallen, an Halsketten und
Ringen. Alle messen sie ZEIT , Aristokraten- ZEIT , Zeit als menschliches Wesen – Zeit, die man sich
mit Knochenarbeit im Schweigen zurückverdienen muss. Es juckt mich in den
Fingern, den Taschendieb zu spielen.
An der Revolutions-Agora bleibe ich stehen und warte auf Mieli. Auf
diesem Platz erinnert ein Denkmal an die Revolution, eine flache Platte aus
Vulkangestein, von Schweigern behauen. Darauf sind in mikroskopisch kleiner
Schrift die Namen der Milliarden von Gogols eingraviert, die von der Erde
hierher geschickt wurden. Kleine Springbrunnen plätschern gegen die Seiten. Ich
erinnere mich, früher oftmals hier gewesen zu sein.
Aber wer war ich ? Und was wollte ich hier?
Der Marswein weckte Erinnerungen, aber nicht in erkennbaren Mustern:
Er spritzte sie nur wie Farbe über mein Gehirn. Ein Mädchen namens Raymonde;
etwas mit Namen Thibermesnil. Vielleicht hat Mieli recht: Ich sollte nicht
darauf bauen, dass mir mein altes Ich wie durch Zauberei offenbart, was ich als
Nächstes zu tun habe, sondern systematischer an die Sache herangehen. Ich habe
ihr und ihrem geheimnisvollen Auftraggeber eine Schuld abzuzahlen, und je
früher ich das geregelt bekomme, desto besser.
Ich setze mich auf eine gusseiserne Bank am Rand der Agora, dicht an
der Grenze zum öffentlichen Bereich. Die Oubliette ist eine Gesellschaft, in
der die Privatsphäre vollkommen geschützt ist, außer auf den Agoren: Hier muss
man sich der Öffentlichkeit zeigen. Die Leute verhalten sich instinktiv anders,
wenn sie von der Allee auf die Agora treten: Der Rücken strafft sich, man
achtet übertrieben sorgfältig auf seinen Gang und grüßt sich mit knappem
Kopfnicken. Was hier geschieht, wird von allen erinnert, ist allen zugänglich.
Agoren sind Orte der öffentlichen Diskussion und der Demokratie, hier kann man
versuchen, Einfluss auf die STIMME , die E Demokratie der Oubliette zu nehmen. Sie sind auch
nützlich für die Kryptoarchitekten: Mithilfe der öffentlich verfügbaren Daten
lässt sich die Evolution der Stadt gestalten …
Woher weiß ich das alles? Ich könnte es
dem kleinen Exospeicher entnommen haben, der mit der befristeten
Staatsangehörigkeit und der UHR zugeteilt wurde,
die Mieli für uns gekauft hat. Aber das war es nicht: Ich habe nicht geblinkert – mich nicht bewusst auf den Abruf von
Informationen aus der Kollektivdatenbank der Oubliette konzentriert. Das heißt,
ich muss schon früher einmal Bürger der Oubliette gewesen sein, zumindest
vorübergehend. Das heißt, ich hatte eine UHR : Und
wenn man hier eine UHR hat, dann hat man auch
einen Exospeicher, einen Aufbewahrungsort für seine Gedanken und Träume, wo man
auch konserviert wird, wenn man zwischen dem Dasein eines Aristokraten und
eines Schweigers hin und her wechselt. Vielleicht sollte ich danach suchen: nach
der UHR der Person, die ich hier war.
Ich wälze den Gedanken im Kopf hin und her. Irgendwie erscheint mir
die Lösung zu einfach , zu wenig elegant, zu unsicher.
Hätte mein altes Ich so gehandelt? Hätte es Geheimnisse im Exospeicher einer
Oubliette-Identität aufbewahrt? Ich muss erkennen, dass ich keine Ahnung habe.
Ich möchte etwas tun, was mir das Gefühl gibt, wieder ich selbst zu
sein, und so stehe ich auf und gehe am Rand der Agora entlang, bis ich ein
schönes Mädchen finde. Sie sitzt auf einer anderen Bank neben einem
öffentlichen Fabber und zieht sich Parkrollerskates mit großen Smarträdern an,
die sie soeben ausgedruckt hat. Weiße Shorts, ein weißes Top. Ihre nackten
Beine sind lang und so vollkommen in der Form, als wären sie aus Gold
modelliert.
»Hallo«, sage ich und schenke ihr mein schönstes Lächeln. »Ich suche
die
Weitere Kostenlose Bücher