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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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Revolutionsbibliothek, aber man sagte mir, dass es keinen Stadtplan gibt.
Könnten Sie mir vielleicht zeigen, in welche Richtung ich gehen soll?«
    Sie zieht ihre braune Knopfnase kraus und verschwindet. An ihrer
Stelle sitzt plötzlich ein grauer Gevulot-Platzhalter neben mir. Und dann
entfernt sie sich, ein verschwommener Fleck in der Luft, über die Allee.
    »Du bist ja schon bei den Sehenswürdigkeiten«, stellt Mieli fest.
    »Vor zwanzig Jahren hätte sie zurückgelächelt.«
    »So nahe an einer Agora? Das glaube ich nicht. Und du hast den
Gevulot-Austausch vermasselt: Du hättest diesen albernen Satz privat halten
sollen. Bist du sicher, dass du schon einmal hier gelebt hast?«
    »Da hat wohl jemand seine Hausaufgaben sehr gründlich gemacht.«
    »Stimmt«, sagt sie. Ich kann es mir denken: Sie hat Virs und Sims
durchsucht und kleine Sklavenbewusstseine ausgeschickt, um alles auszugraben,
was unser befristetes Gevulot uns aus den öffentlichen Exospeichern holen
lässt. »Es ist erstaunlich wenig vorhanden. Wenn du in den letzten zwei
Jahrzehnten tatsächlich hier gelebt hast, dann hast du entweder sehr viel
anders ausgesehen oder niemals eine Agora betreten oder eine öffentliche
Veranstaltung besucht.« Sie hält meinen Blick fest. Ein leichter Schweißfilm
glänzt auf ihrer Stirn. »Wenn du diese Erinnerung irgendwie gefälscht hast –
wenn das ein Fluchtversuch ist, bin ich gewappnet. Und die Folgen werden dir
nicht gefallen.«
    Ich setze mich wieder auf die Bank und schaue über die Agora. Mieli
setzt sich in einer Haltung neben mich, die unbequem aussieht – ihr Rücken ist
kerzengerade. Die Schwerkraft muss ihr Schmerzen bereiten, aber sie wird den
Teufel tun und sich das anmerken lassen.
    »Es ist kein Fluchtversuch«, sage ich. »Ich stehe in eurer Schuld.
Und alles ist so vertraut – ich denke, wir sind schon am richtigen Ort. Aber
ich weiß nicht, wie der nächste Schritt aussieht. Zu diesem Thibermesnil ist
nichts zu finden, und das wundert mich auch nicht; hier liegen die Geheimnisse
in vielen Schichten übereinander.« Auf einmal muss ich grinsen. »Ich bin
sicher, dass mein altes Ich sich irgendwo köstlich amüsiert. Ganz ehrlich, es
könnte sein, dass er bei Weitem zu schlau für uns ist.«
    »Dein altes Ich«, hält sie dagegen, »hat sich erwischen lassen.«
    »Touché.« Ich spritze ein wenig ZEIT aus meiner befristeten UHR – eine kleine
Silberscheibe, die mit einem durchsichtigen Band an meinem Arm befestigt ist;
der hauchfeine Zeiger bewegt sich um einen Millimeter – in den Fabber neben der
Bank. Er spuckt eine dunkle Sonnenbrille aus. Die reiche ich Mieli. »Hier.
Probier die mal.«
    »Wozu?«
    »Damit man diesen Gulliver-Blick nicht mehr sieht. Planeten sind
nicht dein Ding.«
    Sie runzelt die Stirn, setzt die Brille aber immerhin – sehr langsam
– auf. Ihre Narbe tritt dadurch stärker hervor.
    »Weißt du«, sagt sie, »ich hatte ursprünglich vor, dich auf Perhonen in Stasis zu legen, selbst hierherzukommen,
sensorische Daten zu sammeln und sie dann in dein Gehirn einzuspeisen, bis
deine Erinnerungen zutage träten. Aber du hast recht. Ich fühle mich hier nicht
wohl. Zu viel Lärm, zu viel Platz, zu viel von allem.« Sie lehnt sich auf der
Bank zurück, breitet die Arme aus und zieht die Beine zum Lotussitz hoch.
    »Aber die Sonne ist warm.«
    In diesem Moment bemerke ich, dass mir ein barfüßiger Junge,
vielleicht fünf Jahre alt, von der anderen Seite der Agora her zuwinkt. Sein
Gesicht ist mir bekannt.
    Wenn alles vorbei ist, töte ich ihn ,
sagt Mieli zu Perhonen , während sie den Dieb
anlächelt.
    Ohne ihn vorher zu foltern? , fragt das
Schiff. Du verweichlichst zusehends.
    Das Schiff befindet sich im hohen Orbit, und die Neutrinoverbindung
– die vor den paranoiden Technikschnüfflern der Oubliette sorgsam verborgen
werden muss – ermöglicht kaum mehr als ein normales Gespräch.
    Noch eine frustrierende Eigenschaft dieses Ortes, aber lange nicht
so schlimm wie die ständige Schwere und die hartnäckige Weigerung aller
Gegenstände, in der Luft zu schweben, wenn sie sie loslässt. Und sosehr sie
sich ihrer Sobornost-Verstärker schämt: Inzwischen verlässt sie sich darauf.
    Aber strikte Geheimhaltung ist ein Parameter dieser Mission. Deshalb
trägt sie die befristete Gevulot-Hülle, die ihnen die schwarz gepanzerten
Zoll-Schweiger in der Bohnenstangenstation gegeben haben
    kein Import von Nanotechnik, Quantentechnik,
Sobortechnik; keine Datenspeichergeräte, die

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