Quantum
toxische Erinnerung und verfolgt sie an ihren Ursprung zurück. Dort schält
er den Exospeicher Schicht für Schicht ab, bis nur noch der reale Kern übrig
ist: ein dünner Mann mit Glatze und hohlen Schläfen in einer schlecht sitzenden
Revolutionsuniform, der ein paar Meter von ihm entfernt steht und ihn aus
schwarzen Augen anstarrt.
»André«, fährt der König ihn an. »Was fällt dir eigentlich ein?«
Der Mann sieht ihn trotzig an, und im Geist des Königs steigt eine
ältere, eine echte Erinnerung aus den Tiefen auf: die Erinnerung an die Hölle,
durch die sie miteinander gegangen sind. Was für ein Jammer!
»Ich komme manchmal hierher«, erwidert André. »Um aus unserem
Goldfischglas nach draußen zu schauen. Es tut gut, die Luft und die Riesen
hinter den Wänden zu sehen.«
»Aber deshalb bist du doch nicht hier.« Des Königs Ton ist
freundlich, fast väterlich. »Ich verstehe dich nicht. Wir hatten eine
Abmachung, nicht wahr? Keine Geschäfte mehr mit ihnen. Und nun bist du doch
wieder da. Hast du wirklich geglaubt, ich käme dir nicht auf die Schliche?«
André seufzt. »Eine Veränderung bahnt sich an«, sagt er. »Wir können
nicht mehr lange überleben. Die Gründer sind schwach, aber ihre Schwäche wird
nicht von Dauer sein. Sie werden uns auffressen, mein Freund. Das kannst auch
du nicht verhindern.«
»Es gibt immer einen Ausweg«, behauptet der König. »Aber nicht für
dich.«
Aus Höflichkeit gewährt ihm der König einen schnellen Echt-Tod. Ein
Blitz aus einer zoku-gefertigten Q-Waffe, ein Luftzug durch den Exospeicher, um
alle Spuren der Person zu löschen, die einmal André hieß und sein Freund war.
Der König absorbiert alles von André, was er braucht. Passanten zucken zurück,
als sie plötzlich die Hitze spüren, und vergessen sie gleich wieder.
Der König wendet sich zum Gehen. Da sieht er den Mann und die Frau.
Er trägt einen dunklen Anzug und eine blau getönte Brille, sie bewegt sich in
der Schwerkraft wie eine Greisin. Und zum ersten Mal hier im Raumhafen lächelt
der König.
4 Der Dieb und der Bettler
An einem strahlenden Morgen in der Wandernden Stadt der
Oubliette auf der Beständigen Allee auf der Jagd nach Erinnerungen.
Hier verschieben und verändern sich die Straßen jedes Mal, wenn sich
mobile Plattformen dem Zug der Stadt anschließen oder aus ihm ausscheren, aber
die breite Allee kommt immer wieder zurück. Sie wird von Kirschbäumen gesäumt,
und von ihr zweigen Straßen und kleinere Gassen ab, die ins Labyrinth führen.
Dort sind die Geheimnisse. Die Geschäfte, die man nur einmal findet und die
Spielzeug aus der Monarchie, alte Blechroboter von der alten Erde oder tote,
vom Himmel gefallene Zoku-Steine verkaufen. Oder die Türen, die sich nur
zeigen, wenn man das richtige Wort ausspricht, tags zuvor die richtigen Speisen
gegessen hat oder verliebt ist.
»Danke«, sagt Mieli, »dass du mich in die Hölle geführt hast.«
Ich lüfte meine blau getönte Sonnenbrille und lächle ihr zu. Sie
leidet sichtlich unter der Schwerkraft, bewegt sich wie eine alte Frau: Solange
wir nur Bürger auf Zeit sind, kann sie ihre Leistungsverstärker nicht
einsetzen.
Ich kenne kaum einen Ort, der weniger Ähnlichkeit mit einer Hölle
hätte. Tiefblauer Himmel über dem Hellas-Becken, Wolken von weißen Gleitern,
die sich mit riesigen Schwingen in der dünnen Marsluft halten. Hohe Gebäude,
reich verziert wie im Paris der belle époque, aber
ohne die Last der Schwerkraft, mit Türmchen aus rötlichem Stein, Laufgängen und
Balkonen. Spinnentaxis, die an den Wänden hinaufhuschen und über Dächer
springen. Die glänzende Kuppel der Zoku-Kolonie neben dem Staubviertel, wo sich
die rote Wolke, die von den Füßen der Stadt aufgewirbelt wird, nach oben wölbt
wie ein Umhang, in den der Wind fährt. Das sachte Schwanken, wenn man ganz
still steht, das einem in Erinnerung ruft, dass diese Stadt von Titanen auf dem
Rücken getragen wird und ständig in Bewegung ist.
»In der Hölle«, sage ich ihr, »sammeln sich die interessanten
Leute.«
Sie schielt zu mir herüber. Vorher in der Bohnenstange hatte sie
jenen gelangweilten déjà vu- Blick, der mir verriet,
dass sie Virs ablaufen ließ, um sich vorzubereiten.
»Wir sind nicht wegen der Sehenswürdigkeiten hier«, mahnt sie.
»Eigentlich doch. Irgendwo hier gibt es noch eine zweite assoziative
Erinnerung, und die muss ich finden.« Ich zwinkere ihr zu. »Es könnte eine
Weile dauern. Also versuche bitte, mit mir Schritt zu
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