Quantum
die
Schläfen. »Hör mal, da ist etwas im Busch. Sie wurden gewarnt, so viel steht
fest. Ist da irgendein abstruses Sobornost-Machtspielchen mit deiner
Auftraggeberin im Gang? Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«
»Nein.« Die Antwort lässt keinen Widerspruch zu.
»Na schön, dann müssen wir davon ausgehen, dass es eine lokale
Angelegenheit ist. Wir müssen sie untersuchen.«
» Ich werde sie untersuchen. Du wirst die Mission fortsetzen.«
Ich stehe langsam auf. Mein Körper ist unversehrt – alle Knochen
sind heil –, aber er tut so , als wäre er verletzt. Er
pocht wie ein einziger dicker Bluterguss. »Dazu gibt es noch etwas zu sagen.«
»Was?«
»Dir ist doch hoffentlich klar, dass ich für diesen Körper mehr als
nur Verletzungsschutzprivilegien brauche? Wenn ich eine neue Identität schaffen
soll, benötige ich eine gewisse Flexibilität. Allein um diese Raymonde
aufzuspüren, sind mehr als nur Augen und Ohren erforderlich. Dabei rede ich
noch nicht von einer Emulation des Gevulot-Sinns oder davon, wie ich überleben soll, falls wir unserem Freund mit den vielen
Stimmen noch einmal begegnen.«
Sie beobachtet mich lange und reibt sich dabei die Hände. Ihre Haut
reinigt sich selbst. Eine dünne Schicht getrockneten Bluts schält sich in
Flocken ab und schwebt davon.
»Ach ja, vielen Dank übrigens, dass du meinen Arsch gerettet hast«,
fahre ich fort. Ich weiß, es ist vergebliche Liebesmühe, aber ich lege ein
wenig – größtenteils echte – Wärme in meinen Blick und schenke ihr mein
schönstes Lächeln. »Du musst mir die Möglichkeit geben, mich zu revanchieren.«
Mieli runzelt die Stirn. »Na schön. Wenn wir zurück sind, werde ich
sehen, was sich machen lässt. Und jetzt nichts wie weg hier. Ich glaube nicht,
dass wir außerhalb des Gevulot öffentliche Spuren hinterlassen haben, aber für
die Zaddikkim scheinen andere Regeln zu gelten. Ich will nicht auch noch gegen sie kämpfen müssen.«
»Fliegen wir?«
Sie packt mich fest an der Schulter und schleppt mich an den Rand
des Daches. Die Straße liegt fast hundert Meter tiefer. »Du kannst es ja
versuchen«, sagt sie. »Aber dein Körper hat keine Flügel.«
An diesem Abend gebe ich mir im Hotel ein neues Gesicht.
Wir schlichen uns unter vollem Gevulot-Schutz auf Umwegen
hierher und verdeckten obendrein die Hälfte der städtischen Sehenswürdigkeiten
– etwas zu paranoid, da wir bei vollem Gevulot ohnehin nicht zu erkennen sein
sollten –, aber Mieli bestand darauf. Nun installiert sie auch noch ein
Überwachungsgitter aus kleinen Lichtpunkten, die aus ihren Händen kommen und
die Türen und Fenster abwandern.
»Nicht anfassen«, sagt sie überflüssigerweise. Und dann wirkt sie
irgendeinen Zauber, für den ich sie am liebsten küssen möchte. Und das würde
ich auch tun, hätte ich nicht immer noch das Bild vor Augen, wie sie dieser
jungen Frau einen Arm abreißt und damit drei Leute zu Tode prügelt. Jedenfalls
schließt sie kurz die Augen, und in meinem Kopf macht es klick .
Nichts Übertriebenes, nicht die völlige Freiheit, die ich für kurze Zeit beim
Kampf gegen die Archonten spürte, aber irgendetwas verändert sich. Ich bin mir
meiner selbst deutlicher bewusst und habe mehr das Gefühl, die Kontrolle über
mich zu haben. Ich weiß jetzt, dass unter der Haut dieses Körpers ein Netz von
Quantenpunkten liegt – künstlichen Atomen, die eine breite Palette von
verschiedenen physikalischen Eigenschaften annehmen können. Sie können eine
Epidermis von jeder Farbe, Form oder Struktur simulieren.
Mieli behauptet, sie müsse ihre Systeme wieder aufladen und einige
Schäden reparieren, und geht früh zu Bett. Perhonen schweigt ebenfalls, sie ist zweifellos auf der Flucht vor den Orbitalwächtern;
oder sie hackt sich in deren Systeme ein und konstruiert glaubwürdige
Erklärungen dafür, warum sie sie für einen Moment verloren haben. Ich bin daher
so allein wie noch nie seit der Flucht aus dem Gefängnis.
Es ist ein gutes Gefühl: Lange sitze ich nur auf meinem Balkon,
schaue auf die nächtliche Stadt und trinke. Diesmal ist es Single Malt. Whisky
hatte für mich schon immer ein introspektives Flair: das Innehalten nach jedem
Schluck, der lange Nachgeschmack, der einen einlädt, den Aromen auf der Zunge
nachzuspüren.
Ich lege im Geist eins der Werkzeuge nach dem anderen aus.
Gevulot ist nicht makellos. Es gibt Schleifen darin, Stellen, wo ein Knoten – der für eine Erinnerung, ein Ereignis oder eine
Person steht –
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