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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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mehr als einen Vorgänger hat. Das heißt, dass manchmal beim
Teilen von Gevulot zu einer harmlosen Erinnerung, einem Geschmack oder einem
intimen Moment ganze Bahnen im Exospeicher einer Person aufgeschlossen werden
können. Die Gogol-Piraten haben Programme, die versuchen, im Gespräch den
Gevulot-Baum einer Person abzubilden und auf solche Schlüsselknoten zu
untersuchen.
    Ich finde eine Software für Man-in-the-Middle -Angriffe,
die den Zweck hat, die Quantenkommunikation zwischen einer UHR und dem Exospeicher abzuhören. Dazu ist viel mehr
rohe Gewalt und überdies sehr viel mehr Quantenrechenleistung erforderlich:
Darüber werde ich mit Perhonen sprechen müssen. Dann
eine perfekte Emulation des Privatsphäre-Sinns, die ich am liebsten sofort
starten würde. Und schließlich einen ganzen Satz von öffentlichen/privaten
Schlüsseln und leeren Exospeichern. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie man
an die gekommen ist, aber wenigstens hat uns jemand anders die Drecksarbeit
abgenommen. Einiges ist durch die Transferunterbrechnung nur bruchstückhaft
vorhanden, aber was da ist, sollte vorerst genügen.
    Zu wissen, dass ich gleich jemand anders sein werde, ist aufregend,
die verschiedenen Möglichkeiten verursachen mir ein Kribbeln im Bauch. Es muss
Zeiten gegeben haben, in denen ich von einer Identität zur anderen wechselte,
Posthumaner, Zoku, Standardmensch, Sobornost. Und bei dieser Überlegung wird
der Wunsch, wieder der Gott der Diebe zu sein, in mir übermächtig.
    Ich lasse den Deckel der UHR aufschnappen und sehe mir das Bild noch einmal an. Wer soll
ich für dich werden, Raymonde? Wer war ich einmal für dich? Ihr Lächeln
gibt mir keine Antwort, also klappe ich den Deckel wieder zu, leere mein Glas
und betrachte mich selbst im Badezimmerspiegel.
    Das Gesicht – schwere Lider, eine Spur von Grau im Haar – lenkt
meine Gedanken abermals auf Mielis Auftraggeberin. Sie muss mich schon vor
langer Zeit gekannt haben. Doch wer immer sie auch sein mag, sie gehört zu den
Dingen, die mir das Gefängnis genommen hat. Für einen Moment schwelge ich in
meinem Bild. Ich bin kein Narzisst, aber ich liebe Spiegel, denn sie gestatten
es einem, sich durch eine äußere Instanz zu definieren. Erst dann erprobe ich,
wie mein Körper reagiert. Werde ein wenig jünger ,
befehle ich ihm. Ein wenig größer, höhere Wangenknochen,
längeres Haar. Das Bild im Spiegel fließt wie Wasser, und aus meinem
Bauchkribbeln wird pures Entzücken.
    »Das gefällt dir wohl?«, sagt eine Stimme. Ich löse den Blick vom
Spiegel und sehe mich im Raum um, aber da ist niemand. Und die Stimme klingt
erschreckend vertraut.
    »Hier bin ich«, sagt mein Spiegelbild. Es ist mein jüngeres Ich aus
dem Foto in der UHR , schneidig, dunkelhaarig,
lächelnd. Er legt den Kopf ein wenig schief und studiert mich durch das Glas.
Ich strecke die Hand aus und berühre es, aber das Bild bewegt sich nicht. Er
vermittelt mir das gleiche Gefühl von Unwirklichkeit wie der Junge auf der
Agora.
    »Du denkst an sie«, sagt er. »Was bedeutet, dass du die Absicht
hast, wieder mit ihr in Verbindung zu treten.« Er stößt einen wehmütigen
Seufzer aus. »Dazu solltest du ein paar Dinge wissen.«
    »Ja!«, schreie ich ihn an. »Wo sind meine Erinnerungen? Warum
spielen wir Spielchen miteinander? Was sind das für Zeich…«
    Er beachtet mich nicht. »Wir dachten wirklich, sie wäre die
Richtige. Die Erlöserin. Und eine Weile war sie es auch.« Er berührt die
Glasfläche von der anderen Seite, ein Gegenstück zu meiner Geste von vorhin.
»Weißt du eigentlich, dass ich dich beneide? Du darfst es noch einmal
versuchen. Aber vergiss nicht, beim letzten Mal haben wir sie sehr schlecht
behandelt. Wir verdienen keine zweite Chance. Also brich ihr nicht das Herz,
oder wenn du es tust, dann sorge dafür, dass jemand da ist, der es auch wieder
zusammensetzt.«
    Das Lächeln kehrt zurück. »Jetzt wirst du mich hassen, zumindest ein
wenig. Es sollte nicht zu einfach sein. Ich habe sichergestellt, dass die
Sachen schwer zu finden sind, nicht deinet-, sondern meinetwegen. Wie wenn ein
Alkoholiker den Stoff im Keller einsperrt und den Schlüssel wegwirft.
    Aber nun bist du doch hier, es war also nicht schwierig genug. Na
schön. Bestelle ihr meine besten Grüße.«
    Er zieht eine UHR aus der Tasche, die
gleiche, die auch ich in der Hand halte, und schaut darauf. »Tja, ich muss
gehen. Viel Spaß. Und vergiss nicht, sie mag Ballonfahrten.«
    Dann ist er verschwunden, und ich

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