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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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du nicht
dort und erschaffst neue Dinge?«
    »Ich tue nur, was ich tun muss«, sagt Mieli. »Das war immer schon
so.« Aber sie will die Finsternis nicht hochkommen lassen.
    »Heute Abend jedenfalls nicht«, sagt der Dieb. »Heute Abend tun wir
nur, was wir tun wollen . Heute Abend haben wir Spaß.
Was willst du tun?«
    »Singen«, sagt Mieli. »Ich möchte singen.«
    »Dafür kenne ich genau den richtigen Ort«, sagt der Dieb.
    Der Bauch der Stadt: unterirdische Straßen und Fußwege zwischen
den hängenden Türmen. Unter ihnen stecknadelkopfgroße Schweiger-Lichter,
Zeitungsdrohnen, die Berichte über das Stadtbeben während des Tages und über
die seltsamen Vorgänge auf der Carpe-Diem-Party in der Nacht zuvor verkaufen.
    Die winzige Bar nennt sich das Rote Seidentuch .
Es gibt dort eine kleine Bühne; an den Wänden hängen Feed-Poster für die
Lifecasts von Musikern. Sie tauchen eine Gruppe von runden Tischchen in
flackerndes Licht. Hier veranstaltet man » open mike nights« ,
bei denen jeder auftreten darf. Das Publikum besteht aus ein paar jungen
Marsianern, die sich von nichts mehr überraschen lassen und nur unbeeindruckt
in die Gegend schauen. Aber der Dieb tritt ganz selbstverständlich ein und
verhandelt im Flüsterton mit dem Wirt, um Mieli ins Programm zu bringen,
während sie an der Bar wartet und aus winzigen Gläsern noch mehr Alkohol in
exotischen Geschmacksrichtungen trinkt.
    Der Dieb hatte darauf bestanden, dass sie sich fein machen sollte,
und so tat sie ihm den Gefallen und fabbte sich mit Perhonen s
Hilfe einen schwarzen Hosenanzug und Plateauschuhe sowie einen Regenschirm. Der
Dieb spöttelte, das sei die richtige Aufmachung für eine Beerdigung, und zuckte
zusammen, als sie konterte, vielleicht sei es die seine. Das brachte sie sogar
zum Lachen. Die ungewohnten Kleidungsstücke sind wie ein Panzer, sie kommt sich
wie eine Fremde darin vor, eine verwegene Fremde.
Dabei weiß sie genau, dass alles nur Schwindel ist: Beim ersten Anzeichen von
Schwierigkeiten wird ihr Metakortex sowohl den Rausch wie alle überflüssigen
Gefühle ausschwemmen. Aber es tut gut, so zu tun als ob.
    Wie läuft es? , flüstert sie Perhonen zu. Du solltest zu uns stoßen.
Ich werde singen.
    Auf der Bühne trägt ein Mädchen mit übergroßer Sonnenbrille Lyrik in
Verbindung mit abstrakten Tempmaterie-Bildern und ihrem Herzschlag vor. Mieli
sieht, wie der Dieb sich gequält windet.
    Es tut mir leid , sagt das Schiff. Ich muss mit tausend Mathematik-Gogols ein hochdimensionales
Gitterkryptografieproblem lösen. Aber es freut mich, dass du dich amüsierst.
    Ich vermisse sie.
    Ich weiß. Wir holen sie zurück.
    »Mieli? Du bist an der Reihe.« Mieli zuckt zusammen. Muss gehen. Muss singen. Sie unterdrückt einen Rülpser.
    »Ich fasse es nicht, dass du mir das eingeredet hast«, sagt sie.
    »Das höre ich oft«, erwidert der Dieb. »Du bist die einzige Person
hier, der ich wirklich vertrauen kann. Also mach dir keine Sorgen. Ich stehe
hinter dir.« Sie nickt und spürt einen Kloß im Hals, vielleicht auch in seinem
Hals. Unsicher stöckelt sie auf die Bühne.
    Doch dann strömen die Lieder nur so aus ihr heraus. Sie singt vom
Eis. Sie singt von Ilmatars langer Reise aus der brennenden Welt, vom Glück des
Friedens und von den Vorfahren in den alinen . Sie
singt das Lied, das Schiffe erschafft. Sie singt das Lied, das die Türen eines
Koto vor dem schwarzen Mann verschließt. Sie singt von zu Hause.
    Als sie fertig ist, herrscht Stille im Publikum. Dann klatschen sie
Beifall, einer nach dem anderen.
    Viel später gehen die beiden gemeinsam zurück. Der Dieb hat
ihren Arm genommen, und irgendwie kommt ihr das ganz richtig vor.
    Auch als sie wieder im Hotel sind und es Zeit ist, sich eine gute
Nacht zu wünschen, lässt der Dieb ihre Hand nicht los. Sie spürt seine Erregung
und seine Anspannung durch die Biot-Verbindung, fasst sich an die Wange und
zieht sein Gesicht näher zu sich heran.
    Dann sprudelt das Lachen aus ihr heraus wie zuvor das Lied, und
seine gekränkte Miene macht es ihr unmöglich, damit aufzuhören.
    »Es tut mir leid«, stößt sie, zusammengekrümmt, mit Tränen in den
Augen hervor. »Ich kann nicht anders.«
    »Du musst schon entschuldigen«, sagt der Dieb, »aber ich sehe nicht,
was daran so komisch ist.« Aus seinem Gesicht spricht so viel verletzter Stolz,
dass Mieli sterben könnte. »Schön. Ich hole mir etwas zu trinken.« Er macht auf
dem Absatz kehrt und will gehen.
    »Warte.« Sie schnieft und

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