Quantum
tun
hatte. Allen Berichten zufolge versuchte der Dieb nicht, auf Unruhs Gevulot
zuzugreifen. Ein Verbrechen, das keines ist. ZEIT wurde gestohlen und zurückgegeben, zusammen mit zwei getrennten Kopien von
Unruhs Bewusstsein – die natürlich vollkommen unbrauchbar sind, wenn man die
Gevulot-Schlüssel nicht hat, um sie zu dechiffrieren. Und wie wurde die ZEIT überhaupt gestohlen?
»Dürfte ich mir die einmal ansehen?« Er löst die Kette vorsichtig aus
der Hand des Millenars und greift nach Unruhs UHR .
»Ich möchte sie gerne untersuchen lassen.«
Der Wiedererwecker mit dem Unendlichkeitszeichen nickt langsam,
zieht eine schmucklose kleine UHR aus seiner
Tasche und berührt sie und Unruhs UHR mit einem
Dekanter. Dann legt er die neue genau dahin, wo zuvor die alte war, und reicht
dem Detektiv Unruhs eleganten schwarzen Chronometer.
»Danke«, sagt Isidore.
Der Wiedererwecker schiebt seine Kapuze zurück und öffnet sein
Gevulot ein wenig. Ein gutmütiges rundes Gesicht kommt zum Vorschein. Er
räuspert sich.
»Verzeihung … wir verbringen so viel Zeit mit unseren Brüdern im
Schweigen, dass es uns schwerfällt …«
»Schon gut«, sagt Isidore. »Sie waren sehr freundlich.«
Der Mann zieht etwas aus der Tasche. »Mein Partner … da unten …« Er
zeigt auf den Fußboden. »Als er noch nicht im Schweigen war … er war ein …
Fan.« Er hüstelt. »Deshalb dachte ich … könnten Sie … vielleicht … ein
Autogramm?«
Er streckt ihm einen Zeitungsausschnitt in Tempmaterie-Folie hin.
Adrian Wus Artikel.
Seufzend kramt Isidore einen Stift aus seiner Tasche.
Isidore blinzelt ins Tageslicht und ist froh, das Haus der
Auferstehung mit seiner schwarzen Fassade hinter sich lassen zu können. Der
warme Wind auf der Beständigen Allee kommt ihm nach der Kühle der Unterwelt
geradezu heiß vor, aber dafür sind die menschlichen Stimmen umso erquickender.
Nach dem optogenetischen Angriff auf der Party war er desorientiert
und hatte leichte Kopfschmerzen. Ein Sanitäts-Schweiger untersuchte ihn und die
anderen Gäste, aber die Infektion hatte keine bleibenden Spuren hinterlassen.
Er konnte allerdings das Virus isolieren, und als Isidore und Odette das
Gelände absuchten, fanden sie die Blume, mit der es verbreitet worden war.
Isidore trägt sie seither in seiner Schultertasche bei sich, zur Sicherheit von
einer Quantenpunkt-Blase umgeben.
Er hat in der Nacht kein Auge zugetan, aber die Gedanken rasen nur
so durch seinen Kopf und lassen ihn auch jetzt nicht ruhen. Und sooft er an den
Dieb denkt, spürt er ein Kribbeln der Scham im Bauch. Sie waren einander so
nahe, standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber – und der andere stahl
ihm, Isidore, nicht nur sein Gesicht, sondern auch seinen Verschränkungsring.
Wie der Identitätsdiebstahl vonstattenging, ist ein weiteres Rätsel. Soweit
Isidore weiß, hätte der Dieb auf keinen Fall Zugriff auf sein Gevulot bekommen
dürfen.
Auch im Exospeicher des Gartens hat er keine Spuren hinterlassen; er
tritt nur ein einziges Mal ohne Gevulot-Maske auf, und das ist bei dem Gespräch
mit Isidore. Dass er sein Aussehen nach Belieben verändern kann, ist ohnehin
klar. Zerstreut überlegt der Detektiv, ob ein Teil seines Unbehagens Angst sein
könnte: Vielleicht ist le Flambeur doch eine Nummer zu groß für ihn.
Er bleibt für einen Moment unter einem der Kirschbäume an der Allee
stehen und atmet den Duft der Blüten ein, um einen klaren Kopf zu bekommen. Nur
sein Ruf und ein gewisses Talent unterscheiden seinen Feind von einem ganz
gewöhnlichen Gogol-Piraten. Irgendwo muss le Flambeur einen Fehler begangen
haben, und Isidore wird ihn finden.
Er beißt die Zähne zusammen und biegt in die Seitengassen der Allee
ab, um einen UHR macherladen zu suchen.
»Interessant«, sagt der UHR macher
und betrachtet Unruhs UHR durch eine Lupe aus
massivem Messing. »Ja, ich glaube, ich kann Ihnen sagen, wie es zugegangen
ist.«
Über die Linse der Lupe flimmern digitale Informationen. Der UHR macher ist ein schlaksiger Mann mittleren Alters in
einem schwarzen T-Shirt mit zerrissenen Ärmeln. Er hat blaues Haar und einen
struppigen Schnurrbart, und seine Ohren sind von Implantaten und Ohrringen in
die Länge gezogen. Sein Arbeitsplatz ist eine Kreuzung zwischen dem Labor eines
Quantenphysikers und der Werkstatt eines Handwerkers, überall stehen
blitzblanke, leise summende Kästen, über denen Holodisplays schweben, und auf
den Holztischen liegen winzige Rädchen, säuberlich
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