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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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eingeholt und den Patientenakten beigegeben werden. Ich überlege kurz, ob ich direkt angesprochen werden will, wenn das Vermögen einen bestimmten Wert überschreitet, aber es fällt mir schwer, irgendeine Zahl zu nennen – außerdem kann ich ja, wenn der Vorgang abgeschlossen ist, die Patienten nach Vermögen auflisten lassen. Ich weise das Modul an, sich nur zu melden, wenn es auf einen mir schon bekannten Namen stößt.
    Ich lasse mich aufs Bett fallen und schalte die Stereoanlage ein. Die Musik-ROM, die ich in letzter Zeit spiele, heißt >Paradise< und ist von Angela Renfield. Es ist eine CD, die es in Hunderttausenden von Exemplaren gibt, doch ist jedes einzelne Stück, das sie spielt, einzigartig auf der Welt. Eine Reihe von Parametern hat die Renfield festgelegt, während andere nach Quasi-Zufallsfunktionen gesteuert werden, die Datum, Uhrzeit und Seriennummer des Abspielgeräts miteinbeziehen.
    Heute abend hat sich ein überwiegend minimalistischer Einfluß durchgesetzt. Nach mehreren Minuten, in denen in Abständen von fünf Sekunden nichts als immerzu derselbe (zugegeben eindrucksvolle) Akkord zu hören ist, drücke ich auf den Knopf: KOMPOSITION, und nach einer kurzen Pause ertönt eine neue Version der Musik. Eine deutliche Verbesserung.
    >Paradise< habe ich schon mehr als hundertmal gehört. Anfangs konnte ich kaum glauben, daß die verschiedenen Versionen irgend etwas gemeinsam hatten, aber nach einigen Monaten verstand ich die zugrundeliegende Struktur ein klein wenig. Es erinnert an einen Familienstammbaum oder eine Übersicht über die Verwandtschaftsverhältnisse im Tierreich, doch hinkt ein solcher Vergleich. Zwar kann man jede Version als nahen oder entfernten Verwandten einer anderen einordnen, doch fehlen die gemeinsamen Vorfahren. Zwar stelle ich mir die einfacheren Versionen als die >ursprünglichen< vor, aus denen die komplexeren entstanden sind, aber das ist nur ein Denkmodell. Was aus wem entstanden sein soll, ist letztlich eine willkürliche Entscheidung.
    Einige der Rezensenten haben behauptet, daß man so nach dem zehnten Abspielen – bei genügend Musikverstand – das Kompositionsprinzip der Renfield durchschaut hätte, so daß das Abhören langweilig werde. Wenn das stimmt, dann bin ich froh, ein Ignorant zu sein… Das zweite Stück diese Abends hat etwas von einem blanken, glitzernden Stück Metall – ein Skalpell, geeignet, um Schicht für Schicht abgestorbenen Gewebes abzutragen. Ich schließe die Augen, als eine Trompetenmelodie beginnt, die immer höher aufsteigt und sich ganz unmerklich, ganz unwahrscheinlich, in den Klang elektronischer Harfen verwandelt. Flöten stimmen ein, ein kunstvolles, ja manieriertes Thema – doch glaube ich hinter allem Aufwand, hinter der Tarnung aus Harmlosigkeiten jenes scharfe Metall wiederzuerkennen. Es wird in hundert Masken erscheinen, neu geschliffen, poliert, wird emporgehalten werden, damit ich es bewundere. Und am Ende wird es eine spitze Nadel sein, die mein Herz durchbohrt.
    Aber jetzt tauchen am unteren Rand meines Gesichtsfelds vier leuchtende Zeilen Text auf:
     
    AutoMental:
    Assoziation/natürliches Gedächtnis.
    Casey, Joseph Patrick.
    Leiter des Sicherheitsdienstes seit 12. Juni 2066.
     
    Ich habe ganz vergessen, daß ich auch nach den Personalakten gefragt hatte – sonst hätte ich sie bei der Sichtung nicht berücksichtigt. Am liebsten würde ich erst einmal die Musik zu Ende hören, aber das hat keinen Sinn. Es würde mir jetzt keinen Spaß mehr machen. Ich drücke auf STOP, und eine einzigartige, unwiederbringliche Version von >Paradise< entschwindet für immer.
     
    Casey ist fünf Jahre älter als ich, weshalb sein Ausscheiden aus dem Dienst kurz nach mir nicht ganz so überraschend kam. Wir sitzen in einer Ecke der überfüllten Bar und trinken Bier. Ein seltsamer Zeitvertreib. Was kann dieses Ritual für einen Sinn haben, wenn nicht ein einziges Mikrogramm Ethanol in den Blutkreislauf gelangt? Wenn ein kleines Modul den Bierkonsum berechnet und einen Kurzschluß im Gehirn produziert, dessen Wirkung genau der theoretisch genossenen Alkoholmenge entspricht? Kein Mensch läßt etwas so Giftiges wie Alkohol noch an sich heran. Aber wenn dieser Brauch ein Fossil aus Tausenden von Jahren Menschheitsgeschichte ist, so alt, daß wir seinen Sinn längst vergessen haben, was sollte man sich da sträuben?
    »Nie bekommen wir dich zu sehen, Nick. Wo versteckst du dich?«
    Wir? Ich brauche einen Augenblick, bis ich verstehe, was

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