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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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über Jahre alles zusammenzählte –, an die ich mich nicht mehr erinnern kann? Die meinem Gedächtnis verlorengingen, als hätte sie es nie gegeben? Und wie viele Versionen von mir starben, wenn ich aktiviert war – damit die eine, die alles besser konnte, am Leben bleiben konnte? Es ist doch nichts Neues… mein ganzes Leben lang ist ein Teil von mir immerzu gestorben, damit ein anderer das Richtige tun konnte.
    Es ist nicht an mir, das zu entscheiden, aber als ich Hypernova aufrufe, flüstere ich vor mich hin: »Wähle einen anderen, damit Lui leben kann. Mir ist es egal.«
    Ich schalte auf AUS…
    … und nichts passiert.
    (Wie sollte es auch.)
    Ich gehe hinüber zu dem einzigen Stuhl im Zimmer und lasse mich einfach fallen. Ich schließe die Augen und warte. Karen steht neben mir, sie schweigt, aber allein ihre Nähe ist eine große Hilfe.
    Nach fünfzehn langen Minuten – Zeit genug für einen, der es besser kann als ich, um Lui zu fesseln und anschließend zu kollabieren – aktiviere ich Chiffre. Ich habe keine Ahnung, was ich mit einer ganzen Kultur des gefährlichsten Einzellers der Welt anfangen soll. Aber Dr. Pangloss wird mir da sicher weiterhelfen.
     
    »Denken Sie noch einmal darüber nach, mehr verlange ich nicht. Was könnte uns nicht alles erwarten jenseits der Barriere… die unglaublichsten Dinge, wahre Wunder, Träume, die Wirklichkeit werden! Es muß Zustände geben, in denen Ihre Frau noch am Leben ist.«
    Dieser Satz hat mich wie elektrisiert, aber nur für einen Augenblick…
    »Woher wollen Sie das wissen? Woher wollen Sie wissen, daß die Barrieren-Erbauer Menschen sind! Das sind nur Spekulationen.«
    Er geht nicht darauf ein, sagt nur ganz milde: »Denken Sie darüber nach.«
    Widerstrebend tue ich das. Karen am Leben… nicht Halluzination, Vorspiegelung eines Moduls… Schluß mit dieser erbärmlichen Farce. Ein Leben wie früher – mit allen Problemen, Unvollkommenheiten… aber dafür wirkliches Leben.
    Ich kann mich von diesen Gedanken befreien, aberein bitterer Nachgeschmack bleibt. Welchen Preis mußte ich dafür bezahlen, um vom Loyalitätsmodul befreit zu werden? Daß ich nun eine Abneigung gegen Neuromodule entwickelt habe, ist eine Sache – aber ob Karen solche Gefühle zulassen wird, ist eine andere.
    Ich sollte ihm den Mund verbieten oder wenigstens ignorieren, was er sagt. »Selbst wenn Sie recht hätten… was würde dabei herauskommen? Für mich könnte es nie Wirklichkeit werden. Neue Eigenzustände entstehen durch Aufspalten der bestehenden, die neu entstandenen können sich nicht mit den alten vermischen.«
    »Nein? Wenn die Welt aufgehört hat zu kollabieren, ist alles möglich.« Er lächelt überglücklich. »Der Kollaps ist auch die Ursache für die Asymmetrie der Zeit… vielleicht können Sie dann sogar in jene Zeit hinübertunneln, zu der Ihre Frau noch lebte…«
    Ich schüttle den Kopf. »Nein. Einige Versionen von mir – vielleicht, während andere es nicht können. Das ist… das Chaos, der Wahnsinn. So könnte ich nicht leben: eine Milliarde Versionen von mir entstehen zu lassen, damit eine kleine Anzahl von ihnen das bekommen kann, was ich will.«
    Habe ich das nicht schon gestern nacht getan?
    Er zögert, dann sagt er: »Und Sie würden eine solche Chance nicht nutzen wollen – eine Chance für jemanden, der aus Ihnen entsteht –, um in jene Nacht zurückzukehren, in der Ihre Frau starb? Um den Ausgang der Ereignisse zu beeinflussen?«
    Ich öffne den Mund, um zu widersprechen. Statt dessen höre ich mich einen seltsamen, kaum menschlich klingenden Schrei ausstoßen, ein Jammerlaut wie aus den Tiefen der Hölle.
    Er ist aufgesprungen, und erschrocken ziele ich – aber zu spät. Er hat den Glaskolben schon am Hals gepackt, hält ihn hoch über dem Tisch: Wenn ich ihn erschieße, wird er das Gefäß fallen lassen.
    Er holt ein wenig aus und wirft den Glaskolben in Richtung Fenster; es ist offen, das Moskitonetz zerreißt.
    Einen Augenblick stehe ich da wie erstarrt, noch immer die Pistole auf ihn gerichtet. Wütend über meine Dummheit, hätte ich am liebsten abgedrückt, doch dann stürze ich zum Fenster und schaue hinunter. Ich reguliere die Intensität und mache aus meinem Laser einen Scheinwerfer, der nun ein Häufchen Glasscherben in einer kleinen Pfütze beleuchtet. Ich lasse die Flüssigkeit verdampfen und versenge rundherum den Beton.
    Lui sagt: »Das ist pure Zeitverschwendung.«
    »Was soll der Blödsinn?« ruft es aus einem Fenster genau

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