Quarantäne
als ich näher komme. Ich werfe einen Blick über die Schulter, als ich durch die Halle gehe – überwältigt von der Vorstellung, mich vielleicht draußen stehen zu sehen, wie ich vergeblich auf das Wunder warte.
Dreißig Stockwerke, mit je zwanzig Wohnungen. Ich werfe drei Dekaeder, ohne lange zu überlegen, und würfle acht, neun, fünf. Ich spüre Panik aufsteigen, dann lache ich: So leicht gebe ich nicht auf; dieses Spiel spiele ich auf jede Art, die ich nur will. Ich ziehe sechshundert ab und wende mich zu den Treppen. Wenn es in einigen Wohnungen mehr von mir geben sollte als in anderen, dann bedeutet das sicher nicht das Ende der Welt.
Ich gehe so geräuschlos wie möglich. Dabei ist es ziemlich unruhig in diesem Haus: Ich höre leise Musik vom zweiten Stock, Kindergeschrei im sechsten, hin und wieder das Rauschen von Toiletten und Abflußrohren. Die Banalität des Ganzen wirkt ermutigend – als ob ich irgendeine Bestätigung hätte, daß jene zum Untergang verurteilten Versionen von mir zwangsläufig irgend etwas Verrücktes hören müßten… vielleicht etwa identische Kompositionen aus Angela Renfields >Paradise< aus jeder einzelnen Wohnung des Hauses.
Im neunten Stock bin ich zu einem Entschluß gekommen für den Fall, daß Lui nicht in 295 ist: Ich werde das ganze Haus durchkämmen, von oben bis unten. Ich habe nichts zu verlieren. Und wenn er nicht in diesem Haus ist? Dann werde ich jedes Haus in dieser Straße durchsuchen.
Da ist eine Bewegung im Flur, als ich in den dreizehnten Stock gehe, aber es ist nur ein unförmiger Putzroboter, der den zerlumpten Teppichboden saugt und die Kritzeleien von den Wänden entfernt.
Vor der Tür zu 295 zögere ich einen Moment. Ich ziehe die Pistole und drehe am Türgriff.
Sie geht auf.
13
Lui steht vor einem Tisch, der mit gläsernen Laborgeräten übersät ist. Gebannt starrt er auf einen Glaskolben, in dem der Magnetrührer eine Flüssigkeit rotieren läßt. Wütend über die Störung blickt er auf, aber sofort wird sein Ausdruck wieder ruhig und gelassen, und in fast schon freundlichem Ton sagt er: »Nick, ich habe Sie nicht gleich erkannt.«
»Gehen Sie zur Seite und legen Sie die Hände auf den Kopf.«
Er gehorcht.
Soll ich jetzt kollabieren – um meinen Sieg zu sichern, ihn irreversibel zu machen? Noch nicht. Noch ist es zu früh, selbstzufrieden zu sein. Ich weiß nicht, was für Kunststückchen ich noch zustande bringen muß.
Ich hole tief Luft. »Haben Sie die Organismen schon freigesetzt?«
Er schüttelt den Kopf, die Unschuld in Person.
»Wenn Sie lügen, werde ich…«
Was? Und wie sollte ich es überprüfen? Der Stadtteil hat sich offensichtlich noch nicht in Quadrillionen Versionen seiner selbst aufgelöst – aber das habe ich, soweit man sehen kann, schließlich auch nicht.
»Warum nicht?«
Er wirft mir einen halb belustigten Blick zu, als könne er nicht glauben, daß ich so etwas fragen muß. »Die Einzeller, die ich NeoMod geschickt habe, waren eine abgeschwächte Variante. Ich wußte nicht, was für Tests man dort machen würde – ich konnte nicht riskieren, ihnen etwas zu schicken, was vom Gewohnten allzu stark abweicht. Solche Leute machen schon mal krumme Sachen – ein Marionetten-Modul, das ein Gangster dem anderen ins Glas schütten kann –, aber wenn sie herausgefunden hätten, daß es sich um Organismen handelt, die sich seuchenartig ausbreiten können, dann hätten sie die Arbeit sicher nicht ausgeführt.« Mit einem Nicken zeigt er zu dem Kolben auf dem Rührer. »Ich habe ein Retrovirus in die Kultur gegeben, das eine bestimmte DNA-Sequenz in das Genom einbaut. Das, was sie in den Händen hatten, war nicht aufregender als andere illegale Transportorganismen auch. Das hier sind die richtigen Tierchen.«
Ich habe keinen Grund, ihm zu vertrauen – aber warum sollte er sich mit dieser ganzen Ausrüstung abmühen, anstatt durch die Straßen zu wandern und die Kultur zu versprühen? Ich betrachte den Kolben etwas genauer: Es sieht aus, als wäre er sorgfältig abgedichtet, was merkwürdig ist… aber schließlich wollte er nicht mitten in einer so wichtigen Arbeit verschmieren – nicht anders als ich auch, während ich auf die Synthese von Initiative wartete.
Ich frage: »Wer außer Ihnen hat noch die Daten für das Modul?«
»Niemand.«
»Was? Sie haben in der Liga niemanden gefunden, den Sie für Ihren Plan gewinnen konnten?«
»Nein.« Er zögert, dann sagt er im Ton einer simplen Feststellung: »Sie
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