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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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wenn ein neues Experiment beginnt, bin ich fest entschlossen, diesen teuflischen Singsang aus meinem Bewußtsein zu verbannen. Soll E3 mich doch im Stich lassen, es gibt noch immer – Module hin oder her – so etwas wie Selbstkontrolle und freien Willen. Es funktioniert nicht. Schließlich ändere ich meine Taktik und gebe den vergeblichen Kampf gegen die Störung auf, was bisher das Problem nur verschlimmerte. Immerhin erreiche ich so eine Art Gleichgewichtszustand, auch wenn ich um einiges von meinem gewohnten Grad der Wachsamkeit entfernt bin.
    Die Wissenschaftler scheint das nervtötende Gestammel nicht zu stören – für sie sind es schließlich Daten, kein unsinniges Zeug. Und niemand verlangt von ihnen, daß sie es ignorieren, ganz im Gegenteil.
    So weit ich das beurteilen kann, werden die Ergebnisse im Verlauf des Experiments keinen Deut besser. Dagegen fällt mir etwas auf, was mir die ganze Zeit schon entgangen ist: Die Histogramme ändern sich immer erst nach der Durchsage aus dem Lautsprecher. Am besten ist es zu sehen, wenn eine größere Zahlvon Ionen nacheinander in dieselbe Richtung läuft; eine Reihe von Balken wächst dann gleichmäßig in die Höhe, und dieser Trend kehrt sich erst um, nachdem die nächste Durchsage für die umgekehrte Richtung eingetroffen ist. Aber wenn die Computer die Daten direkt aus dem Versuchsraum erhalten, dann ist diese Verzögerung ganz unverständlich. Was für Berechnungen auch immer nötig sind, um die Histogramme anzupassen, sie können unmöglich länger als wenige Mikrosekunden dauern – und das ist sicher immer noch weniger Zeit, als ein Mensch braucht, um nach dem Aufleuchten eines Lichtpunkts das Wörtchen >auf< oder >ab< zu sagen. Was bedeutet das? Daß die Computer ihre Daten nicht aus dem Versuchsraum bekommen, sondern aus zweiter Hand? Daß sie auf Chung Po-kwais Worte reagieren? Das ergibt keinen Sinn. Vielleicht haben die Wissenschaftler in das Programm eine kleine Verzögerung eingebaut, weil sie so das Experiment besser verfolgen können.
    Um 20 Uhr 35 hat Dr. Leung endlich ein Einsehen. Die eben beendete Sitzung soll für heute die letzte sein. Während die drei vor der Konsole über die Aussagekraft des sechsten Momentes der Binomialverteilung diskutieren, stößt mich Miss Chung mit dem Ellbogen an und flüstert: »Ich bin am Verhungern. Lassen Sie uns hier verschwinden.«
     
    Im Lift zieht sie eine Minispraydose aus der Tasche und sprüht sich etwas in den Rachen. »Darf ich nicht während des Experiments«, sagt sie, »jede Menge Analgetika und entzündungshemmende Stoffe – sie wollen nicht, daß irgend etwas meine Aufmerksamkeit vermindert.« Sie hustet ein paar Mal, und als sie wieder spricht, ist die Heiserkeit wie weggeblasen. »Und was kann ich dagegen schon ausrichten?«
    Es gibt ein eigenes Restaurant im ASR-Turm, oben im achtzehnten Stock. Sie freut sich diebisch, als sie mir erzählt, daß ihr Arbeitsvertrag auch freie Verpflegung garantiert. Sie läßt ihren Ausweis in einem Schlitz am Tisch verschwinden, und in der Tischplatte leuchtet die illustrierte Speisekarte auf. Schon hat sie bestellt, dann stutzt sie und sieht mich verwundert an.
    »Wollen Sie nichts essen?«
    »Nicht im Dienst.«
    Sie lacht ungläubig. »Sie essen nicht während der Arbeit, zwölf geschlagene Stunden lang? Das kann nicht Ihr Ernst sein! Lee Hing-cheung ißt doch auch zwischendurch. Warum Sie nicht?«
    Da kann ich nur mit den Achseln zucken. »Unterschiedliche Module, das könnte es sein. Das Modul, das meinen Stoffwechsel reguliert, kommt mit kurzen Fastenperioden gut zurecht – genaugenommen kann es den Blutzucker sogar leichter konstant halten, wenn ich die Sache nicht durch Essen kompliziere.«
    »Komplizieren? Was soll das heißen?«
    »Nach dem Essen steigt gewöhnlich die Insulinproduktion höher an als eigentlich nötig. Sie kennen das sogar – das ist der Grund, warum man hinterher ein wenig schläfrig wird. Das kann man technisch zwar in den Griff bekommen, aber es ist viel einfacher, wenn man sich gleich auf die Glykogenreserven des Körpers verläßt anstatt auf die Zufuhr von Nahrung.«
    Sie schüttelt den Kopf, sie weiß nicht recht, ob sie das amüsant oder abstoßend finden soll. Sie sieht sich um; von den Tischen des gutbesuchten Restaurants steigen Dampfsäulen auf, kerzengerade, unwiderstehlich angezogen von den Entlüftungsöffnungen an der Decke. »Aber… dieser Duft nach Essen hier, läßt sie das völlig unbeeindruckt? Wie hält

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