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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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man das aus?«
    »Das Modul kümmert sich darum.«
    »Sie meinen, es blockiert Ihren Geruchssinn?«
    »Nein. Ich meine, daß der Geruch keinen Einfluß auf meinen Appetit hat. Körperliche Reaktionen solcher Art auf sensorische Reize sind unterbunden – ich kann beim besten Willen gar nicht hungrig sein, das ist ausgeschlossen.«
    »Aha.« Ein Robotservierwagen rollt herbei und bringt ihr den ersten Gang. Sie nimmt einen Mundvoll von etwas, das wie Tintenfisch aussieht, und hat es auch schon hinuntergeschlungen. »Kann das nicht sehr gefährlich werden?«
    »Kaum. Wenn meine Glykogenvorräte einen bestimmten Wert unterschreiten, dann informiert mich das Modul darüber – ganz ruhig und sachlich. Dann liegt es an mir, die nötigen Schritte zu tun. Aber das ist etwas ganz anderes, als wenn man mitten in einem gefährlichen Auftrag von Hungergefühlen geplagt wird.«
    Sie nickt. »Sie bestehen darauf, von Ihrem Körper wie ein erwachsener Mensch behandelt zu werden. Strafen und Belohnen soll nicht das Mittel sein, um das gewünschte Verhalten durchzusetzen. Das ist etwas für Tiere – sie brauchen es, um zu überleben, aber der Mensch kann selbst seine Prioritäten setzen.« Sie nickt wieder, ein wenig zu bereitwillig. »Das hat etwas für sich, durchaus. Aber wo ziehen Sie die Grenze?«
    »Was für eine Grenze?«
    »Die Grenze zwischen >Ich< und >Körper<… zwischen den Bedürfnissen und Wünschen, die Ihre >eigenen< sind, und jenen, die Sie als vom Körper auferlegte Zwänge betrachten. Natürlich, warum soll man sich mit Hungergefühlen herumschlagen? Aber kann nicht auch das Bedürfnis nach Sex sehr lästig sein? Warum es also nicht mit einigen technischen Tricks unterdrücken? Was ist mit dem Wunsch, Kinder zu haben? Was mit jedem unangenehmen Gefühl überhaupt? Kummer, Schuld? Oder Mitleid – kann das nicht auch sehr störend sein? Was ist mit dem Mut zur Konsequenz, ohne den man unangenehme Entscheidungen nie auf sich nimmt? Wenn es darum geht, eigene Prioritäten zu setzen, dann muß doch genug von einem Menschen übrigbleiben, damit Prioritäten sich überhaupt lohnen.« Durchdringend mustert sie mich, als würde sie halb erwarten, daß ich auf den Tisch springen und der Appetitblockade auf ewig abschwören würde, nachdem sie mir nun die düsteren Konsequenzen bis ins einzelne ausgemalt hat. Ich bringe es nicht übers Herz, ihr zu sagen, daß das alles zu spät kommt, in jeder Hinsicht.
    Ich sage: »Alles, was ein Mensch tut, verändert ihn. Esse ich, bin ich ein anderer als zuvor. Beschließe ich, nicht zu essen, bin ich ein anderer. Sprühe ich mir ein Schmerzmittel in den Hals, bin ich ein anderer. Und wo ist der Unterschied zwischen einem Modul, das den Hunger ausschaltet, und einem Medikament, das den Schmerz unterdrückt? Das ist doch dasselbe.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Damit kann man fast alles wegdiskutieren. Das alles lenkt so schön von den Unterschieden ab. Ein Neuromodul ist aber nicht dasselbe wie ein Schmerzmittel. Viele Module beeinflussen nicht nur Körperfunktionen, sie verändern die Werte der Menschen…«
    »Und ansonsten haben sich die Werte noch nie verändert?«
    »Sehr langsam. Und aus guten Gründen.«
    »Oder aus schlechten Gründen. Oder ganz ohneGrund. Wie stellen Sie sich das vor: Der Durchschnittsmensch setzt sich hin und entwirft eine sorgsam durchdachte Moralphilosophie – und wenn ereinen Fehler in seinem System entdeckt, dann ändert er es behutsam ab? Das ist doch eine Fiktion! Die meisten Leute werden vom Leben, von den Umständen herumgestoßen, sind Einflüssen unterworfen, die sie nicht kontrollieren können. Warum sollen sie sich nicht aus freien Stücken ändern dürfen – wenn es ihr Wunsch ist, wenn es sie glücklich macht.«
    »Aber wer ist das denn, der danach glücklich ist? Der Mensch, der das Modul haben wollte, existiert dann gar nicht mehr.«
    »Das ist ein extrem konservativer Standpunkt: Sich verändern heißt sich aufgeben. «
    »Vielleicht haben Sie recht.« Auf einmal lacht sie. »Außerdem sollen Sie mich nicht für eine Heuchlerin halten. Wenn man durch ein bißchen Herumschrauben am Räderwerk unserer Ethik ein völlig anderer Mensch wird, dann müßte aus mir mit meinem ach so unvergleichlichen Modul eine absolut neue Spezies…«
    Ich unterbreche sie ziemlich barsch. »Darüber dürfen Sie hier nicht sprechen.«
    Sie runzelt die Stirn. »Warum nicht? Im Restaurant unserer Firma? Jeder hier arbeitet für ASR.«
    »Ja – aber in diesem Haus

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