Quarantäne
Vielleicht habe ich im Schlaf geschrien, möglich. Ich weiß es nicht.« Sie legt die Hand auf den Mund. »Oh, das tut mir leid… Sie müssen geglaubt haben…«
»Ist schon in Ordnung.« Ich stecke die Pistole weg; sie scheint ihr einigermaßen unheimlich zu sein.
»Nick, es tut mir wirklich leid.«
»Kein Grund, ist ja nichts passiert. Mir tut es leid, daß ich Sie erschreckt habe.« Nachdem sich die Aufregung als grundlos erwiesen hat, nehme ich wieder mehr von mir selber wahr, und tatsächlich, jetzt bin ich aktiviert, E3 arbeitet normal. Das sind gute Neuigkeiten – wenn sie nicht so unerklärlich wären wie alles andere auch.
Sie schüttelt reumütig den Kopf. »Ich weiß nicht einmal, wie ich aus dem Bett gekommen bin.«
»Schlafwandeln Sie?«
»Nie. Vielleicht hat mich der Traum so mitgenommen, daß ich irgendwann aus dem Bett gesprungen bin, schreiend… aber richtig wach war ich erst, als ich auf den Füßen stand. Mehr weiß ich nicht darüber, ehrlich.«
Ich werfe einen Blick auf das Bett; es sieht nicht aus, als wäre jemand in panischer Angst aufgesprungen. Aber ich will nicht mit ihr streiten. Wenn sie eine Schlafwandlerin ist, dann ist es gut, das zu wissen. Aber es ist unnötig, sie zu einem Eingeständnis zu drängen, wenn ihr das peinlich ist.
»Na schön. Tut mir leid – daß ich so hereingeplatzt bin. Ich lasse Sie jetzt besser schlafen.«
Sie nickt.
Zurück in der Diele kann ich hören, wie sie ruhelos in der Wohnung umherwandert. Ich sitze da und warte. Warte auf das Problem, das E3 mir als nächstes bescheren wird, warte darauf, daß Karen erscheinen und mir wieder die Hölle heiß machen wird. Doch nichts passiert. Zu hoffen, daß der Spuk nun verschwunden ist, ist frommes Wunschdenken – in Wahrheit kann es jederzeit von vorn losgehen. Aber lieber trete ich als vor sich hinlallendes seelisches Wrack vor die Ärzte, vom Geist der toten Ehefrau an den Rand des Wahnsinns getrieben, als mich mit einer oberflächlichen Untersuchung zufrieden zu geben, an deren Ende sie – nicht anders als die Module selbst – mit überlegenem Lächeln verkünden: FEHLERSUCHE NEGATIV.
Zehn Minuten später taucht Po-kwai auf. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich für eine Weile zu Ihnen setze?«
»Nicht im geringsten.«
»Es ist zu spät, um noch einmal einschlafen zu können, und zu früh fürs Frühstück. Ich weiß im Moment nichts mit mir anzufangen.«
Sie holt sich einen Stuhl und setzt sich neben mich, noch immer sichtlich aufgeregt.
»Vielleicht sollte ich Ihnen einen Arzt rufen«, schlage ich vor.
»Seien Sie nicht albern.«
»Ein Beruhigungsmittel…«
»Nein!… Ich bin doch nicht krank. Ich bin nur nicht daran gewöhnt, daß jemand mit einer Pistole fuchtelnd in mein Schlafzimmer stürzt, das ist alles.« Wieder will ich mich entschuldigen, aber sie läßt mich nicht zu Wort kommen. »Ich beklage mich doch nicht, ich bin froh, daß Sie Ihre Arbeit ernst nehmen… Aber nun, mit einiger Verspätung, muß ich einsehen, daß diese Vorsicht durchaus angebracht ist. Man war beim Einstellungsgespräch ganz offen zu mir, man hat mir die Sicherheitsmaßnahmen in allen Einzelheiten erklärt. Es ist mein Fehler, daß ich das als paranoid abgetan habe.«
»Und warum haben Sie Ihre Meinung gerade jetzt geändert? Meinetwegen? Weil ich vielleicht ein wenig übertrieben habe? Das bedaure ich. Ich hätte etwas vorsichtiger sein sollen. Aber es gibt keinen Grund, daß Sie sich jetzt wie von einer Hundemeute gehetzt fühlen. Es ist anzunehmen, daß noch immer kein Mensch außerhalb der Firma auch nur ahnt, daß es dieses Projekt gibt.«
»Aber ja… Es ist vor allem, weil ich jetzt weiß, daß ich nicht die Kontrollperson bin, jetzt, wo das Ding tatsächlich funktioniert – und wenn ich daran denke, was ich, nach all dem Aufwand an Forschungsarbeit und Geld, nun für einen Wert… verkörpere…« Staunend schüttelt sie den Kopf. »Ich habe mich beworben, weil ich mich für diese Art Physik interessiere – ich wollte mitarbeiten, nicht nur Versuchskaninchen sein. Aber Leung behandelt mich wie eine Idiotin, Tse ist ein Idiot, und für Lui scheine ich so etwas wie ein zerbrechliches, überirdisches Wesen zu sein, eine Göttin beinahe. Ich verstehe nicht ganz, wo sein Problem liegt… Und die ganze Sache soll unter Verschluß bleiben, jahrelang, dabei gehört sie auf das Titelblatt der nächsten Ausgabe von Nature: ROLLE DES BEOBACHTERS IN DER QUANTEN-MECHANIK BESTÄTIGT – UND FÜR
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