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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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den Griff bekommen.
    Die Aussicht, fremden Menschen die Details meines Gehirns präsentieren zu müssen, ist alles andere als angenehm. Eine demütigende Situation… aber was soll ich machen! Ich werde über Karen reden müssen – und über das Loyalitätsmodul auch? Das muß ich irgendwie umgehen, jede Einzelheit brauchen sie wirklich nicht zu wissen. Es genügt, wenn sie mich so weit wiederherstellen, daß ich meine Arbeit im Dienst der INITIATIVE verrichten kann, darauf kommt es an.
    Ich öffne die Augen. Karen steht noch immer an der gleichen Stelle.
    Ich sage: »Nun gut, wenn du dich unbedingt hier herumtreiben mußt – was hast du vor? Mit mir Wache schieben?«
    >Nein.<
    »Was dann?«
    Sie streckt die Hand aus und streichelt meine Wange. Ich nehme ihre andere Hand – wobei mir deutlicher als sonst bewußt wird, wie das Modul meine Finger steuert, damit sie nicht einfach durch diesen unwirklichen Körper hindurchgehen. Ich lasse meinen Daumen über ihren Handrücken gleiten, verweile bei jedem einzelnen der so vertrauten Knöchel.
    »Du fehlst mir, das weißt du.«
    Sie antwortet nicht.
    Es muß einen Weg geben, sie wieder an meinem Leben teilnehmen zu lassen. Vielleicht finde ich mit etwas gutem Willen heraus, wie sie von ihren ketzerischen Äußerungen über die INITIATIVE abzubringen ist; vielleicht gelingt es mir, sie sozusagen an der Leine zu führen, ohne die Illusion ihrer Eigenständigkeit zunichte zu machen. Oder… vielleicht könnte man sie etwas modifizieren, ihrem Verhalten gewisse Schranken auferlegen, eine Art Loyalitätsmodul im Modul. Warum habe ich nicht früher daran gedacht? Module lassen sich den Erfordernissen anpassen. Alles ist möglich.
    Ich blicke auf und sehe ihr in die Augen. Es ist Liebe, was von ihnen ausgeht – ein ruhiger, stetiger Strom, der sich nun gegen eine Störung behaupten muß; Unruhe breitet sich aus, als würde eine Bewegung in der Tiefe die glatte Oberfläche eines Sees zum Vibrieren bringen. Mich fröstelt, eine jähe Vorahnung überkommt mich. Das ist keines der verbotenen Gefühle, nicht Trauer, Schuld, Ärger. Aber der bloße Gedanke, daß auch dieses Modul versagen könnte – daß ich allem, wovor es mich bewahren soll, aufs neue ausgeliefert wäre, macht mich für einen Augenblick vor Entsetzen wie benommen.
    Ich lasse ihre Hand los, und sie…
    Sie breitet sich über das ganze Zimmer aus.
    Sie dehnt sich aus… es ist wie ein Verschmieren von Wasserfarben; sie vervielfacht sich, als würde ein schadhaftes Holovisionsgerät dasselbe Bild in unaufhörlicher Folge immer neu projizieren. Ich springe auf, stoße dabei den Stuhl um – als fürchtete ich, keine Luft mehr zu bekommen, wenn es um mich herum nichts anderes mehr gibt als unzählige Replikate des einen, identischen, und nicht einmal existierenden Körpers. Ich vergrabe das Gesicht in meinen Armen, aber dennoch spüre ich diese Körper, die mich von allen Seiten streifen. Ein tiefes Summen ist zu hören, ein unartikuliertes, unzusammenhängendes Sprechen – aber ganz eindeutig Karens Stimme.
    Ich schreie…
    … und sie verschwindet, spurlos.
    Die plötzliche Stille läßt all den Lärm in meinen Ohren nachhallen – und da stelle ich fest, daß mein Schrei einen anderen Schrei fast überdeckte.
    Po-kwai.
    Ich stürze in das Zimmer, die Waffe gezogen. Zum Stadtpanorama gehörende Leuchtreklamen in den unechten Fenstern – Hologramme in den Hologrammen – geben mir genug Licht auf meinem Weg. E2 meldet, daß sich die Herkunft des Schreis nicht lokalisieren läßt, daß das Signal nicht eindeutig ist, aber ich bin absurderweise fest überzeugt, daß er von nirgendwo sonst als aus dem Schlafzimmer kam. Die Tür ist angelehnt, ich stoße sie auf. Po-kwai, die drüben bei der anderen Wand steht, fährt erschrocken herum. Für einen Moment bleibe ich regungslos stehen, will von ihrem Gesicht lesen, hoffe auf einen Wink, mit den Augen etwa, der mir die Position des Eindringlings verrät – doch zu lesen ist nichts weiter als Schreck und Verwirrung, und der Grund dafür bin ich. Ich trete ein.
    »Sie sind allein?«
    Sie nickt, bringt dann immerhin einen nervösen, ärgerlichen Lacher zustande. »Was soll das? Wollen Sie mich zu Tode erschrecken?«
    »Haben Sie nicht geschrien?«
    Sie verzieht mürrisch das Gesicht, fest entschlossen, es zu leugnen. Aber sie überlegt es sich anders, sieht sich dann um, als wüßte sie nicht, wie ihr geschehen ist. »Es ist… ein Alptraum, das muß es gewesen sein.

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