Quarantäne
genaugenommen erst seit heute ist.« Sie blickt auf ihre Uhr. »Verzeihung, seit gestern: Dienstag, der vierundzwanzigste Juli 2068.«
Geduldig, nicht ohne den Anflug eines selbstzufriedenen Lächelns um die Lippen, wartet sie, bis ich endlich begriffen habe. »Metaphysik? Die Physik im Kopf? Sie haben gezeigt, daß der Kollaps der Wellenfunktion im Kopf stattfindet?«
»Ja.«
»Aber… wie? Was hat das alles mit Silberionen zu tun… daß man sie dazu bringt, denselben Weg nehmen? Sie haben nicht irgendeinen elektromagnetischen Effekt benutzt…«
»Nein! Kein vom menschlichen Körper erzeugtes Feld wäre stark genug…«
»Das habe ich vermutet. Aber – wie sonst?«
»Das Modul tut zweierlei. Erstens, es verhindert, daß ich die Wellenfunktion kollabieren lasse; dazu muß es es bestimmte Hirnfunktionen außer Kraft setzen, die wir normalerweise nicht beeinflussen können. Aber das würde nicht genügen, die Ionen würden immer noch dem Zufall gehorchen… es wäre nicht ich, die den Kollaps des Systems auslösen würde, sondern Sie oder Leung, Tse und Lui.
Aber das Modul kann noch mehr: Es ermöglicht mir, die verschiedenen Eigenzustände zu manipulieren – daß ich nicht länger willkürlich und ohne zu wissen, was ich tue, alle bis auf einen unmöglich mache. Nein, ich kann unter ihnen auswählen und so die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ergebnisses beeinflussen.
Theoretisch müßte ich den anschließenden Kollaps eigentlich selbst zustande bringen können – aber es würde dem Experiment einiges von seiner Finesse nehmen, wenn eine Person alles machen würde. Also sorgen die Leute im Kontrollraum für den Kollaps des ganzen Systems – zu dem die Silberionen, der Fluoreszenzschirm und ich gehören –, aber erst, nachdem ich die Wahrscheinlichkeit so weit beeinflußt habe, daß sie nicht länger fünfzig zu fünfzig beträgt.«
»Dann ist also jeder im Kontrollraum Teil des Experiments? Und deshalb ändern sich die Histogramme erst, nachdem Sie die Richtung des Ions angegeben haben – weil wir, würden wir das Ergebnis zu früh erfahren, für einen zufälligen Kollaps der Wellenfunktion sorgen würden?«
»Genau das.«
Ich überlege einen Moment. »Sie sprachen vom Kollaps >des ganzen Systems<. Heißt das, daß auch Sie als Mischung von Eigenzuständen existieren, solange wir Ihre Stimme nicht gehört haben?«
»Ja.«
»Und… wie fühlt sich das an?«
Sie lacht. »Das ist das Frustrierendste an der ganzen Geschichte: Ich weiß es nicht! Ich kann mich tatsächlich nicht daran erinnern. Nachdem ich selbst kollabiert bin, gibt es für mich nur noch Erinnerungen an den betreffenden Eigenzustand – ich weiß lediglich noch von einem Lichtblitz auf dem Schirm. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wie ich das Modul zur Auswahl eines Eigenzustands gebracht habe… Haben Sie sich nie gefragt, warum ich so lange an dieser Sache arbeiten mußte? Und ich kann nicht einmal sagen, ob ich je für einen Augenblick – und sei er noch so kurz – zwei Lichtblitze gesehen habe. Ich vermute, daß meine beiden Eigenzustände voneinander unabhängig existieren. So weit entspricht das der Viele-Welten-Theorie, wenn auch nur im Kleinen. Möglicherweise gibt es zwei getrennte Versionen von mir, kurz vor dem Kollaps, für den Bruchteil einer Sekunde. Aber was immer in meinem übrigen Gehirn abläuft, für das Modul existieren beide Eigenzustände parallel und treten in Wechselwirkung – die Wellenfunktionen überlagern sich, beeinflussen sich gegenseitig, so daß ein Zustand wahrscheinlicher, der andere unwahrscheinlicher wird. Wenn dem nicht so wäre, dann gäbe es kein Ergebnis bei unserem Experiment – dann hätten Sie recht mit Ihrem metaphysischen Gebrabbel.«
Ich zögere mit einer Antwort – eine wirklich hübsche Geschichte! – und versuche sie bis zu jenem Punkt zurückzuverfolgen, bis zu dem man ihr Glauben schenken kann. Schließlich sage ich: »Und Sie meinen das ernst? Sie wollen mich nicht nur auf dem Arm nehmen – um sich dafür zu rächen, daß ich Sie so erschreckt habe? Wenn dem so ist, dann haben Sie gewonnen – ich gebe mich geschlagen. Sie haben mich so weit gebracht, daß ich unmöglich sagen kann, was wahr und was erfunden ist.«
Das scheint sie sehr zu kränken. »So etwas würde ich nie tun. Jedes Wort, das ich sagte, ist die reine Wahrheit.«
»Es ist nur… es hört sich an wie dieser Nonsens, den die Quantenmystiker verbreiten…«
Sie schüttelt heftig den Kopf. »Aber nein,
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