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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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uns überhaupt vorstellen können. Alles war gleichzeitig möglich, keine Möglichkeit schloß die andere aus. Den Kollaps der Wellenfunktion gab es einfach nicht, sie wurde immerzu komplexer. Ich weiß, wie hoffnungslos anthropozentrisch oder geozentrisch es sich anhört, wenn man dem Leben auf diesem Planeten eine solche Schlüsselrolle für den ganzen Kosmos einräumt – aber gerade durch diesen Reichtum an Möglichkeiten, durch diesen Grad der Komplexität war es letztendlich unvermeidlich, daß sich irgendwo im Universum ein Wesen entwickelte, das den Brunnen schließlich zum Versiegenbrachte. Es vernichtete die Vielfalt, die es zum Leben erweckt hatte.«
    Sie lacht etwas unbehaglich, wird dann fast verlegen – so, wie man es von Leuten kennt, die sich anschicken, eine unangenehme Wahrheit auszusprechen.
    »Es ist nicht leicht, damit fertig zu werden, aber es ist nun einmal wahr: Wir sind nicht das Bewußtsein, das sich anschickt, das Universum zu verstehen – wir sind das Bewußtsein, das das Universum um die meisten seiner Möglichkeiten beraubte, weil es verstehen wollte.«
    Ungläubig starre ich sie an. »Was soll das heißen? Daß das erste Lebewesen mit diesem besonderen Talent… das eigentliche Universum hat kollabieren lassen?«
    Sie zuckt mit den Achseln. »Vielleicht ist es gar nicht auf der Erde passiert, auch wenn es keinen Beweis gibt, daß es nicht so war. Irgendwo muß es angefangen haben. Es muß auch nicht das ganze Universum betreffen – ein mehr zufälliger Blick über den Sternenhimmel war wohl noch keine >Messung< im eigentlichen Sinn. Doch hat sich die Zahl der möglichen Zustände dadurch sicherlich verringert – indem zunächst der Eigenzustand von Erde und Sonne festgelegt wurde, sozusagen für den Anfang. Sie gehörten nicht länger jener Mischung aus allen möglichen Zuständen an, die die Materie des Sonnensystem einnehmen könnte. Nicht zu vergessen die hellsten Fixsterne, die von diesem Wesen mit bloßem Auge zu erkennen waren. Denken sie an die vielen Möglichkeiten, die nie wiederkehren, an die Sterne und Welten, die für immer zu existieren aufhörten, als dieses Urwesen seine Augen öffnete.«
    Ich schüttle den Kopf. »Das kann nicht Ihr Ernst sein.«
    »Aber ja!«
    »Ich kann es nicht glauben. Was für einen Beweis gibt es denn dafür? Von einem einzigen Experiment mit albernen Silberionen wollen Sie ableiten, daß irgendein hypothetischer Vorfahre des Menschen – vielleicht auch der Katzen – jene großartige, unermeßlich reiche Vielfalt aller denkbaren Universen zerstörte? Daß alles, was nach dem Urknall möglich war, zusammenschrumpfte auf das, was jene Kreatur vom Nachthimmel wahrnehmen konnte? Daß alles andere vernichtet, ausgerottet wurde… ein Genozid im kosmischen Maßstab?«
    »Ja. Vielleicht wirklich ein Genozid, ganz wörtlich. Leben – auch intelligentes Leben – bedeutet nicht an sich schon den Kollaps der Wellenfunktion. Wenn es vor uns Leben ohne Kollaps gab, dann haben wir diese Wesen kollabieren lassen. Und das heißt, daß wir wohl ganze Zivilisationen ausgelöscht haben.«
    »Und Sie meinen, wir tun das noch immer? Wir lassen Dinge kollabieren, die Lichtjahre entfernt sind? Andere Sterne, andere Galaxien, andere Lebensformen? Wir bestehlen das Universum um eine Unzahl von Möglichkeiten? Ein Kahlschlag, vergleichbar dem Abholzen der Wälder auf unserem Planeten – und alles nur vom Zugucken?«
    Ich muß lachen, als es mir einfällt. »Das heißt, wir haben es getan, bis…«
    Das Lachen ist mir im Hals steckengeblieben, ich schließe für einen Moment die Augen. Dieses dumme Schwindelgefühl, diese Platzangst. Die unausgesprochene Folgerung bemächtigt sich meiner, keines meiner Module kann mir dabei helfen.
    Ganz behutsam sagt Po-kwai: »Ja…, bis. Wir haben es getan, bis die Barriere kam.«

 
8
     
    Ein Vormittag im Labor genügt, um die Ergebnisse des gestrigen Abends zweifelsfrei zu bestätigen. Po-kwai soll nun erst einmal vierzehn Tage lang Urlaub machen, während man die nächste Phase des Experiments vorbereiten wird. Daß sie das Gebäude nicht verlassen darf, stört sie nicht weiter – sie liest die meiste Zeit. »Das hätte ich sowieso getan«, sagt sie, »und wenn ich erst vergessen habe, daß mir keine andere Wahl bleibt, dann steht meinem Glück nichts mehr im Wege: Es ist ruhig hier, ich bin ungestört – und sogar die Klimaanlage funktioniert. So ähnlich muß es auch im Himmel sein.«
    Die Auf-Ab-Litanei ist aus meinen

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