Quarantäne
Hilfe von Hypernova, und versuche, die Schar meiner virtuellen Doppelgänger mit jenen ernsthaften Absichten auszustatten, die auch in der unendlichen Vielfalt der sich ständig erweiternden Wellenfunktion erhalten bleiben sollen. Mein Gewissen plagt mich schon, als ich mich vorsätzlich inaktiviere, denn mit meiner Verantwortung Po-kwai gegenüber läßt sich das nicht vereinbaren – aber das Risiko ist zu groß, daß E3 den Kollaps auf ganz unvorhersehbare Weise beeinflussen könnte. Und ich sage mir auch, daß die Kinder des Chaos, würden sie je von den frevelhaften Aktivitäten von ASR erfahren, einfach das Hochhaus in die Luft sprengen würden – und es gäbe nichts, was ich daran ändern könnte, aktiviert oder nicht.
Das Würfelspiel bleibt ganz und gar unbeeindruckt.
Für Po-kwai hat die dritte Versuchsphase begonnen, noch einmal soll die Korrelation von Nervenzellen ihres Gehirns gemessen werden. Ich kann verstehen, wie ungeduldig Lui diese vorsichtigen, noch immer auf die Versuchsperson gerichteten Experimente machen – aber andererseits weiß ich mehr denn je die Zurückhaltung zu schätzen, mit der ASR an die Sache herangeht. Auch wenn ich nun ziemlich überzeugt bin, daß auch im makroskopischen Maßstab die größten Wunderdinge machbar sind, so tappe ich doch blind im Dunkeln herum, weit entfernt davon, den Prozeß zu steuern. Wenn es allein nach ASR ginge, dann würden sie vielleicht noch zehn Jahre forschen, bevor sie etwas in dieser Art versuchten – aber wenn sie es versuchten, dann würden sie es auch kontrollieren können, sie wüßten genau, wie man es macht.
Ich denke: Vielleicht sind sie wirklich die geeigneteren Leute, um das Geheimnis der wahren INITIATIVE zu erforschen: langsam, methodisch, unerbittlich und vor allem mit Respekt.
Po-kwai ist schon am zweiten Tag erfolgreich; sie freut sich, ohne darüber überrascht zu sein. Es ist offensichtlich, daß ihr Vertrauen in ihre neuen Fähigkeiten wächst, trotz der nebulösen Umstände, was den Gebrauch des Moduls angeht. Wie lange wird es dauern, bis diese wachsende Selbstsicherheit, das Gefühl der Kontrolle auch ihre Träume erreicht – und mich aus ihnen ausschließt?
Ich sitze in der Diele und sehe zu, wie die Hologramm-Würfel auf und ab tanzen, immer von neuem, automatisch, zehnmal in der Minute, Stunde um Stunde. Ich habe den Blick auf die Würfel gerichtet, gleichzeitig verfolge ich zwei Windows in meinem Gesichtsfeld: das Menu von Hypernova und ein Statistikprogramm – eine miniaturisierte Version der Software, mit der der Ionenversuch ausgewertet wird. Lui hat es besorgt und mir mit einem einzigen Händedruck von zwei Sekunden mittels Transmitter überspielt.
Verschmieren: AN.
Würfeln.
Verschmieren: AUS.
Ergebnis eingeben.
Mit aktiviertem Einsatzmodul kann ich das beliebig lange tun, bis in alle Ewigkeit, ohne daß es irgendeinen Einfluß auf meine Stimmung hätte. Aber so… Anfälle von Übereifer wechseln mit Langeweile, auf grauenhafte Langeweile folgt gnädiges Abstumpfen, wobei die nötigen Handgriffe von alleine geschehen – bis ich aus diesem Zustand dann erwache und mich noch frustrierter fühle als zuvor. Aber alles das könnte hilfreich sein: Was immer in meinen verschmierten Ichs vorgeht, es ist kaum anzunehmen, daß eines von ihnen etwa nicht den Wunsch haben sollte, diese hirnlose Prozedur zu beenden – was nichts anderes heißt, als Erfolg zu haben.
Und wenn es nicht so ist? Ich kann den virtuellen Ichs nur dann meinen Willen aufzwingen, wenn ich nach dem Kollaps noch da bin. Ich weiß doch nicht, was der Eigenzustandsgenerator am Ende tut: Wird er den Zustand der Würfel beeinflussen – oder wird er meinen Zustand beeinflussen? Vielleicht finde ich mich nach dem nächsten Kollaps als eine Person wieder, die das Experiment längst aufgegeben hat… oder nicht mehr an die wahre INITIATIVE glaubt. Jedesmal, wenn ich verschmiere, dann werden auch die Spielregeln durcheinandergewirbelt, alle Regeln dieses Spiels, und das Ergebnis ist genauso offen wie die Augenzahl der Würfel. Ich kann nur hoffen, daß sie mindestens ebensoviel Beharrungsvermögen haben wie der Zufallsgenerator des Würfelspiels.
Sekunden bevor Lee Hing-cheung kommt, um mich abzulösen, stecke ich das Würfelspiel in die Tasche. Das Programm in meinem Kopf – das auf von Neumann wesentlich langsamer läuft als auf einem richtigen Computer – prüft die Daten mit immer neuen, immer unverständlicheren Tests, um vielleicht doch noch
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