Quarantäne
irgendwann wollte es dann auch die Mischung aller möglichen Po-kwais. Alles andere wäre doch auch undemokratisch, oder?« So ganz im Ernst hat sie das nicht gesagt, aber ernst genug.
Ich sage: »Immerhin, jetzt haben wir doch eine exakte Definition von Ernsthaftigkeit, nicht wahr? Man verschmiert mal eben und zählt nach, wie viele Eigenzustände bei der Sache bleiben und wie viele nicht.«
Po-kwai lacht. »Aber sicher. Damit läßt sich schlechthin alles quantifizieren! Ach Liebster, magst du mich auch wirklich? Laß mich deine Eigenzustände sehen…«
Zuhause, inaktiviert, frage ich mich nach der Ernsthaftigkeit meiner eigenen Bemühungen. Was will ich eigentlich? Zweimal war ich – soweit ich das beurteilen kann – verschmiert gewesen, und nichts, was bei diesen Gelegenheiten passierte, hatte auch nur entfernt mit dem Wollen meiner eigenen Person zu tun. Und jetzt? Selbst wenn ich mit noch so heiligem Eifer der wahren INITIATIVE zu dienen suche, indem ich den Eigenzustandsgenerator stehle – was wird daraus werden, wenn ich erst verschmiert bin?
Ich habe mir nie etwas vorgemacht; nicht für eine Sekunde habe ich je geglaubt, daß ich mit dem Loyalitätsmodul immer noch dieselbe Person bin. Aber nach allem, was mir Po-kwai über die Wellenfunktion erzählt hat, muß ich annehmen, daß allein die Tatsache, daß es funktioniert, mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch sein Funktionieren im verschmierten Zustand bedeutet. Beim Verschmieren werden auch Versionen von mir entstehen, die nicht an das Loyalitätsmodul gebunden sind – aber möglicherweise sind sie gegenüber den übrigen Versionen in der Minderzahl.
Und doch… Obwohl E3 ganz normal arbeitete, war ich auf einmal inaktiviert; ich sah Karen, obwohl ich sie nicht gerufen hatte. Für beide Fälle hätte doch dasselbe gelten müssen: daß die Mehrheit sich durchsetzte. Aber offensichtlich hatte der Status quo sich nicht behaupten können.
Was läuft also ab, wenn ich in Po-kwais Diele sitze, verschmiert bin und mich darauf konzentriere, die Zufallszahlen von von Neumann zu beeinflussen? Gar nichts, möglicherweise – oder tobt vielleicht ein Krieg zwischen ungezählten Versionen von mir selbst? Eine regelrechte Schlacht um den Eigenzustandsgenerator – die Superwaffe, der Zauberstab, der neue Wirklichkeit entstehen läßt? Alles, was ich am Ende noch weiß ist, daß es umsonst war… Aber könnte es nicht sein, daß sich das Gleichgewicht der Kräfte ganz langsam verschiebt – daß es >Hologramme< gibt, die die Erinnerung an das Geschehene bewahren?
Der Gedanke, daß Versionen meiner selbst zum Leben erwachen könnten, die etwas anderes wollen als ich, die alles bekämpfen, für das ich lebe, ist schlechthin widerlich. Am liebsten würde ich ihn verdrängen, ihn von vornherein für absurd erklären. Und selbst wenn es wahr sein sollte… was kann ich tun? Wie kann ich den Ausgang dieser Schlacht beeinflussen? Wie kann ich jene Bataillone stärken, die dem Loyalitätsmodul gehorchen… die letztlich auch zu mir loyal sind?
Kein Ahnung.
Das mit von Neumann gebe ich auf; wahrscheinlich ist die Idee, Neurone im eigenen Schädel auf diese Weise beeinflussen zu wollen, sowieso ein bißchen pervers. In einem Trödelladen um die Ecke finde ich ein elektronisches Würfelspiel, nicht größer als eine kleine Spielkarte. Der Zufallsgenerator befindet sich in einer winzigen, versiegelten Kapsel und besteht aus wenigen Mikrogramm einer Positronen emittierenden Substanz, um die in zwei konzentrischen Kugeln Detektorkristalle angeordnet sind. Diese Vorrichtung – behauptet das großmäulige Werbehologramm, das durch den Laden wabert – sei immun gegen jede natürliche Hintergrundstrahlung und sicher vor jeder denkbaren Manipulation; es gebe schlechthin kein äußeres Ereignis, das jenes charakteristische Paar Gammastrahlen auslösen könnte, wie sie bei der Annihilation eines Positrons im Detektor entstehen. >Natürlich, wenn der Herr ein Modell vorziehen sollte, das etwas entgegenkommender ist…<
Ich kaufe das absolut unbestechliche Würfelspiel. Die Software bietet jede mögliche Würfelform bis hin zum Polyeder an, ich entscheide mich aber für das klassische Paar von Achtecken und mache mich dann für einige Stunden ans Testen des Geräts, ohne die Spur einer Tendenz zu entdecken.
Ich stecke das Würfelspiel ein, als ich zur Arbeit gehe. Und während Po-kwai schläft, sitze ich in der Diele, inaktiviert, abwechselnd verschmiert und kollabiert mit
Weitere Kostenlose Bücher