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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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alleingültige Antwort haben… Tja, die, gegen die ich Sie wohl beschützen soll.«
    Po-kwai nickt, und während sie sich rekelt, kann sie eben noch ein Gähnen unterdrücken. Ich kann gerade noch die Bemerkung unterdrücken, wie müde sie jetzt doch sein müsse… Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie Sie’s mit mir überhaupt aushalten. Wenn ich Sie nicht mit meinen albernen Träumen langweile oder mit meinem Gemecker über ASR, dann gieße ich einen Kübel voller Ängste über Sie aus… ausgerottete Zivilisationen, ermordete Doppelgänger…«
    »Kein Grund zur Entschuldigung. Mich interessiert das alles.«
    »Wirklich?« Sie sieht mich prüfend an, dann schüttelt sie den Kopf, spielt die Ratlose: »Aus Ihnen werde ich nie schlau! Ich weiß nie, ob Sie mich auf den Arm nehmen oder nicht. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als alles wörtlich zu nehmen, was Sie sagen.« Sie blickt auf ihre Armbanduhr – demonstratives, aber nicht mehr ganz zu Recht getragenes Kennzeichen eines Gehirns ohne Module. »Schon nach drei… ich glaube, so langsam…« Sie geht zur Tür, bleibt dann stehen. »Ich weiß, Sie können gar nicht die Lust verlieren an dieser Arbeit – aber was denkt Ihre Familie darüber, daß Sie nachts arbeiten, jede Nacht?«
    »Ich habe keine Familie.«
    »Wirklich? Keine Kinder? Ich habe mir immer vorgestellt…«
    »Keine Frau, keine Kinder.«
    »Was dann?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Eine Freundin, einen Freund?«
    »Nichts dergleichen. Nicht seit dem Tod meiner Frau.«
    Das macht sie sehr verlegen. »O Nick, es tut mir leid. Mist. Meine übliche feinfühlige Art… Wann ist das passiert? Doch nicht… während Ihrer Zeit hier bei ASR? Niemand hat mir davon…«
    »Nein, nein. Es ist fast sieben Jahre her.«
    »Und – soll das heißen, daß Sie noch immer trauern?«
    Ich schüttle den Kopf. »Ich habe nie getrauert.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Ich habe ein Modul… das meine Reaktionen steuert. Ich gräme mich nicht, ich vermisse sie nicht. Ich bin lediglich in der Lage, sie mir vorzustellen, wie sie damals war. Und ich brauche niemand anderen. Ich kann es gar nicht.«
    Sie zögert mit der Antwort, zweifellos halten sich Neugier und altmodische Rücksichtnahme die Waage, bevor ihr aufgeht, daß ich gar keinen Kummer habe, den es zu respektieren gilt. »Aber… wie haben Sie sich gefühlt, damals, bevor man Ihnen das Modul implantiert hat?«
    »Ich war Polizist damals. Als sie starb, war ich sozusagen… im Dienst. Also…« Ich zucke mit den Schultern. »Eigentlich habe ich gar nichts gefühlt.«
    Einen Augenblick lang ist mir deutlich bewußt, daß auch dieses Eingeständnis in den Bereich des nahezu Unmöglichen gehört wie alles andere, was in dieser Nacht vorgefallen ist – daß sich das verschmierte System Po-kwai/Nick von allen denkbaren Zuständen den unwahrscheinlichsten herausgepflückt hat, nachdem es dieses Kunststück lange genug mit Kombinationsschlössern und dem Täuschen von Wachen geübt hat. Aber eben nur einen Augenblick lang; dann spüre ich wieder, daß ich es bin, der hier agiert, daß mein Denken darüber entscheidet, was ich tue.
    »Ihr Tod konnte mich in jenem Augenblick nicht treffen – aber ich wußte, was passieren würde, wenn ich erst inaktiviert war. Ohne die Verhaltenssteuerung durch die Module würde ich leiden. Unerträglich sogar. Also tat ich das Naheliegende, das Einfachste: Ich traf Vorkehrungen, um mich zu schützen. Oder genauer, der kleine Zombie-Pfadfinder tat das Nötige, um mein inaktiviertes Ich zu schützen. Pfadfinder helfen immer, wo sie nur können.«
    Es gelingt ihr ganz gut, ihre Reaktion zu verbergen, aber die ist nicht schwer zu erraten: Mitleid, Ekel, beides zugleich. »Und Ihre Vorgesetzten hatten nichts dagegen?«
    »Oh, verdammt noch mal, das hatten sie. Ich mußte meinen Hut nehmen. Sie wollten mich der ganzen Meute von Psycho-Hyänen vorwerfen: Therapeuten, Beratern jeder Couleur.« Ich lache. »Da wird nichts dem Zufall überlassen, wissen Sie. Es existiert ein Protokoll in meiner Personalakte, mehrere Megabytes lang, das Produkt einer ganzen Armee von Sekretärinnen. Und man muß es Ihnen schon lassen, sie waren durchaus entgegenkommend, sie haben mir eine Menge Angebote der verschiedensten Art gemacht. Aber einfach aktiviert zu bleiben, bis ich mir das passende Modul besorgt hatte, das gehörte nicht dazu. Nicht, daß es mich zu einem schlechteren Polizisten gemacht hätte, sie fürchteten einfach, daß es publik werden könnte:

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