Quarantaene
die Uhr. Es war fast zwei. Sie würde vielleicht noch zwanzig Minuten brauchen. Oder länger.
Beruhige dich, wies sie sich an und scannte den nächsten Ausdruck.
Von seinem Platz am Rande des Gangs beobachtete Chris, wie Ray sich erhob und ans Rednerpult trat.
Chris hatte das Gefühl, es sei wichtig, dass er den Mann richtig einschätzte. Es gab tausend Möglichkeiten, wie er in eine weitere Konfrontation mit Ray Scutter geraten konnte. Falls es dazu kam, wollte er die Sache nicht verbocken. Und es gab tausend Möglichkeiten, die Sache zu verbocken.
Ray sah heute ziemlich geschniegelt aus. Er lächelte ins Publikum und nahm das Rednerpult mit einer Unbefangenheit ein, die Marguerite nicht hatte aufbringen können. Dies war der »Charme«, von dem sie gesprochen hatte, und vielleicht war es auch das, was sie zuerst in ihm gesehen hatte, als sie sich kennenlernten – ein einnehmendes Grinsen und ein paar wohlklingende Worte. Ray begann.
»Ich werde hier gleich von meinem vorbereiteten Text abweichen – und ich weiß, wir sollten uns kurz fassen, Ari; ich verspreche auch, dass ich mein Bestes tun werde –, um zu einigen Bemerkungen meiner Vorrednerin Stellung zu nehmen.«
Marguerite wand sich sichtlich auf ihrem Stuhl, obwohl sie mit dergleichen hätte rechnen müssen.
»Zu den Dingen, die wir als Wissenschaftler im Blick behalten müssen«, sagte Ray, »gehört die Einsicht, dass die äußere Erscheinung trügerisch sein kann. Wir haben über die O/BEK-Anlage gesprochen, als handele es sich um ein herausragend gutes optisches Teleskop. Ich möchte aber daran erinnern, dass dem nicht so ist. Ganz grundsätzlich gesprochen ist das Auge ein Quantencomputer, der dem Zweck der Bilderzeugung dient. Wir nehmen an oder setzen voraus, dass die von ihm generierten Bilder vergangene Ereignisse auf einem fernen Planeten exakt wiedergeben. Dies mag zutreffen. Vielleicht aber auch nicht. Falls er tatsächlich echte Information erlangt, wissen wir nicht, wie er das macht. Die Bilder, die er erzeugt, sind im Einklang mit unserem realen Wissen über die Größe und die Atmosphäre von UMa47/E und seinem Abstand zum Zentralgestirn. Darüber hinaus haben wir jedoch keine Möglichkeit, das zu verifizieren, was das Auge zu sehen behauptet. Bevor wir seine Wirkungsweise nicht besser reproduzieren und verstehen können, muss unsere Annahme, dass wir reale Ereignisse sehen, unter Vorbehalt stehen.
Und wenn wir uns mit Schlussfolgerungen zurückhalten, so geschieht dies nicht, weil wir uns nicht trauen würden, solche zu ziehen, sondern darum, weil wir uns nicht täuschen lassen wollen. Aus diesem Grund – und vielen anderen – glaube ich, dass unser strenger Fokus auf das Subjekt und seine Kultur verfehlt und auf verheerende Weise voreilig war.
Im Widerspruch zu meiner Vorrednerin möchte ich das Publikum daran erinnern, dass wir Menschen uns seit jeher Geschichten über außerirdisches Leben ausgedacht haben – o Pardon, ›Erzählungen erschaffen‹ haben, meinte ich. Ob dies eher für Genie oder aber für Narretei spricht, wäre eine interessante Frage. Im Namen der Wissenschaft wurden wir einst von Percival Lowell aufgefordert zu glauben, dass der Mars über Kanäle und eine Zivilisation verfüge. Dieser Irrglaube wurde von der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts widerlegt, nur um bald darauf von einer wunschgeleiteten und letztlich falsifizierten Entdeckung fossiler Bakterien in einem marsianischen Meteoriten ersetzt zu werden. Eingehendere Untersuchungen haben ergeben, dass der Mars keinerlei Leben trägt. Auch die von vielen beschworenen Mikroben, die angeblich auf dem Jupitermond Europa die Unterwasserschicht aus lauwarmen Schlamm bevölkern sollten, haben sich als Illusion erwiesen. Es scheint, als würde uns unsere Phantasie immer wieder überholen. Sie folgt der Intuition, eilt in Sprüngen voraus, sieht, was sie sehen will, aber ein Manifest für die Vorstellungskraft ist nicht unbedingt das, was wir brauchen, schon gar nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt.«
Er seufzte theatralisch.
»Nachdem dies gesagt ist – und ich meine, es musste gesagt werden –, möchte ich mich einem drängenderen Problem zuwenden, das für uns alle hier am Lake von besonderer Bedeutung ist.
Es muss nicht eigens hervorgehoben werden, dass die Abriegelung, die von einigen als die Quarantäne bezeichnet wird, ein beispielloses Ereignis ist, das zu verstehen wir alle die größte Mühe haben. Quarantäne ist, wie ich meine, ein
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