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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
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Träume. Sie gründen, sagen wir uns, in der realen Welt, aber es sind keine teleskopischen Bilder in einem wie auch immer verstandenen traditionellen Sinne. Wenn wir durch ein Teleskop blicken, sehen wir mit dem menschlichen Auge und interpretieren mit dem menschlichen Verstand. Wenn wir ein O/BEK-Bild betrachten, sehen wir, was eine träumende Maschine zu träumen gelernt hat.
    Womit nicht gesagt sein soll, dass die Bilder wertlos seien! Sondern nur, dass wir sie nicht für bare Münze nehmen können. Und wir müssen uns eine weitere Frage stellen. Wenn unsere Maschine wirkungsvoller träumen kann als ein Mensch, wozu könnte sie dann außerdem imstande sein? Welche anderen Träume mag sie noch hegen, mit oder ohne unser Wissen?
    Die Organismen, die wir beobachten, sind vielleicht nicht die Bewohner eines felsigen Planeten, der den Stern Ursa Majoris 47 umkreist. Die fremde Spezies, das sind vielleicht die O/BEK-Apparate selbst. Und das Schlimmste … das Aller schlimmste …«
    Er brach ab, griff zu seinem Wasserglas und leerte es mit einem Zug. Sein Gesicht war gerötet.
    »Ich meine, wie erwacht man aus einem Traum, der das eigene Bewusstsein ermöglicht? Indem man stirbt. Nur indem man stirbt. Und wenn die O/BEK-Wesenheit – so wollen wir sie nennen – zu einer Gefahr für uns geworden ist, dann … müssen wir sie vielleicht töten.«
    Von irgendwo weit vorn rief eine dünne Stimme: »Das kannst du nicht tun!«
    Eine Kinderstimme. Chris identifizierte Tess, die jetzt unmittelbar vor der Bühne stand.
    Ray blickte in sichtlicher Verwirrung nach unten. Er schien sie zunächst nicht zu erkennen. Dann aber bedeutete er ihr, sich wieder hinzusetzen, und sagte: »Tut mir leid. Verzeihen Sie. Ich entschuldige mich für die Störung. Aber wir können es uns nicht leisten, sentimental zu sein. Unser aller Leben steht auf dem Spiel. Wir sind vielleicht – als Gattung, sind wir vielleicht …« Er wischte sich mit der Hand über die Stirn. Der wahre Ray hatte sich ans Licht gekämpft, dachte Chris, und dieser wahre Ray war kein erfreulicher Anblick. »Wir mögen unkontrollierte Traummaschinen sein, imstande, immense Schäden anzurichten, aber wir sind unserem Genom zu Loyalität verpflichtet. Unser Genom ist es, was aus dem Wertlosen einen erträglichen Traum macht, aus der unerbittlich präzisen Mathematik des Universums, das wir bewohnen … Was würden wir sehen, wenn wir wirklich wach wären? Ein Universum, das den Tod sehr viel mehr liebt als das Leben. Es wäre töricht, wahrhaft töricht, unser Primat an einen dahergelaufenen Zahlensatz abzugeben, irgendein nichtlineares dissipatives System, das unserer Lebensweise fremd ist …«
    Dass einer lächeln kann und immer lächeln, und doch ein Schurke sein, hatte Shakespeare gesagt. Chris begriff es jetzt. Es war eine Lektion, die er vor langer Zeit hätte lernen sollen. Hätte er sie früh genug gelernt, würde seine Schwester Portia vielleicht noch leben.
    »Hör auf, so zu reden!«, kreischte Tess.
    In diesem Moment schien Ray zu erwachen, schien zu begreifen, dass er etwas Seltsames getan, sich vor Publikum in eine peinliche Lage gebracht hatte. Sein Gesicht war ziegelrot.
    »Was ich sagen will …«
    Das Schweigen zog sich hin. Unter den Zuhörern erhob sich Gemurmel.
    »Was ich sagen …«
    Ari Weingart machte einen zögernden Schritt vom Bühnenrand in die Mitte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Ray. »Ich bitte um Verzeihung, falls ich irgendetwas gesagt habe … falls ich mich missverständlich … Diese Versammlung …«
    Er wedelte mit der Hand, schlug dabei das leere Wasserglas vom Rednerpult. Es zerschellte spektakulär auf den Bühnenbrettern.
    »Diese Versammlung ist zu Ende«, knurrte Ray ins Mikrofon. »Sie können alle nach Hause gehen.«
    Er stakste hinter die Kulissen. Sebastian Vogel begann aufgeregt in seinen Pocket-Server zu flüstern. Marguerite kletterte von der Bühne und lief zu ihrer Tochter, um sie zu trösten.
     
    Sue Sampel hatte soeben die Ausdrucke in ihre ursprüngliche Reihenfolge zurückgeordnet, als ihr Server klingelte.
    Das eigentlich eher leise Geräusch nahm sich in der Stille von Rays Büro geradezu dröhnend aus. Sie fuhr zusammen, der halbe Papierstapel glitt ihr aus den Händen und verstreute sich über den Boden.
    »Scheiße!«, sagte sie, dann kramte sie ihr Klapptelefon aus der Tasche. »Ja?«
    Es war Sebastian. Ray habe die Bühne verlassen, sagte er. Schwer angefressen offenbar. Kaum vorherzusagen, wo er

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