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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
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niemand sonst hören konnte. Idiotische Fragen manchmal; manchmal aber Erwachsenenfragen, die Tess nicht beantworten konnte, manchmal Fragen, die ihr unangenehm waren und sie beunruhigten. Erst gestern hatte Mirror Girl sie gefragt, warum die Pflanzen im Haus grün und lebendig seien, die draußen aber alle braun und ohne Blätter. (»Weil Winter ist«, hatte Tess aufgebracht gesagt. »Geh weg. Ich glaube nicht an dich.«)
    An Mirror Girl zu denken, verursachte Tess Unbehagen.
    Sie machte sich auf den Weg zurück ins Haus. Der Rasen davor war noch immer ein unberührtes, jungfräulich weißes Schneefeld. Tess blieb stehen und zog ihre Handschuhe aus. Ihre Hände waren schon kalt geworden, aber da sie sowieso reingehen wollte, machte das nichts. Sie stieß beide Hände in den heilen, papierweißen Schnee. Die Abdrücke waren makellos, Spiegelbilder ihrer Hände. Symmetrisch, dachte Tess.
    Als sie zur Tür kam, hörte sie Stimmen von innen, laute, erhobene Stimmen, die zornige Stimme ihrer Mutter. Tess schlüpfte ins Haus und machte leise die Tür hinter sich zu. Von ihren Stiefeln fiel klumpenweise vereister Schnee auf den Läufer im Flur. Ihre Wollmütze juckte plötzlich unangenehm. Sie riss sie sich vom Kopf und ließ sie auf den Boden fallen.
    Ihre Mutter und der Übernachtungsgast waren in der Küche, unsichtbar. Tess lauschte aufmerksam. Der Gast sagte gerade: »Hören Sie, wenn das ein Problem für Sie ist …«
    »Es schafft ein Problem für mich.« Tessas Mutter klang gleichzeitig empört und unsicher, defensiv. »Ray – dieses Schwein!«
    »Ray? Entschuldigung – wer ist Ray?«
    »Mein Ex.«
    »Was hat er mit dieser Angelegenheit zu tun?«
    »Ray Scutter. Ist Ihnen der Name bekannt?«
    »Natürlich, aber …«
    »Sie glauben, dass es Ari Weingart war, der Sie hierhergeschickt hat?«
    »Er hat mir Ihren Namen und Ihre Adresse genannt.«
    »Ari meint es gut, aber er ist nur Rays Marionette. Oh, Scheiße. Entschuldigen Sie. Nein, ich weiß, Sie verstehen gar nicht, was los ist.«
    »Sie könnten es mir erklären«, sagte der Gast.
    Tess begriff, dass ihre Mutter von ihrem Vater sprach. Normalerweise hörte Tess nicht zu, wenn das passierte. So wie früher, wenn sie sich stritten. Sie dachte einfach an was anderes. Aber das hier war interessant. Jetzt hatte es etwas mit dem Übernachtungsgast zu tun, der einen neuen und faszinierenden Status einfach dadurch angenommen hatte, dass er Gegenstand des Zorns ihrer Mutter war.
    »Es liegt nicht an Ihnen«, sagte Tessas Mutter. »Ich meine, sehen Sie, es tut mir leid, ich kenne Sie ja überhaupt nicht … es ist nur so, dass Ihr Name recht häufig fällt.«
    »Vielleicht sollte ich wieder gehen.«
    »Wegen Ihres Buches. Das ist der Grund, warum Ray Sie hergeschickt hat. Ich habe momentan keinen sehr guten Stand in Blind Lake, Mr. Carmody, und Ray gibt sich alle Mühe, den Halt, den ich noch habe, zu untergraben. Wenn es sich herumspricht, dass Sie hier ein Zimmer haben, wird man viele falsche Vorstellungen bestätigt sehen.«
    »Alle Parias hocken am selben Ort.«
    »Sozusagen. Na ja, es ist eine unangenehme Situation. Verstehen Sie, ich bin nicht sauer auf Sie, es ist nur …«
    Tess malte sich aus, wie ihre Mutter die Hände zu einer Was-kann-ich-tun?- Gestein die Luft warf.
    »Dr. Hauser …«
    »Bitte, nennen Sie mich Marguerite.«
    »Marguerite, ich suche im Grunde nichts weiter als eine Unterkunft. Ich spreche mit Ari und werde sehen, ob er etwas anderes arrangieren kann.«
    Es folgte eine längere Pause von der Art, wie sie Tess ebenfalls mit der periodisch wiederkehrenden Traurigkeit ihrer Mutter in Verbindung brachte. Dann fragte sie: »Sie übernachten immer noch in der Sporthalle?«
    »Ja.«
    »Aha. Na ja, setzen Sie sich doch. Wärmen Sie sich wenigstens ein bisschen auf. ich koche einen Kaffee, wenn Sie mögen.«
    Der Gast zögerte. »Wenn’s nicht zu viel Umstände macht.«
    Küchenstühle scharrten über den Fußboden. Leise stieg Tess aus ihren Stiefeln und hängte ihren Schneeanzug in den Schrank.
    »Haben Sie viele Koffer?«, fragte Tessas Mutter.
    »Ich reise mit ziemlich leichtem Gepäck.«
    »Tut mir leid, wenn ich einen feindseligen Eindruck gemacht habe.«
    »Ich bin daran gewöhnt.«
    »Ich habe Ihr Buch nicht gelesen. Aber man hört so einiges.«
    »Ja, man hört eine Menge. Sie sind Leiterin der Abteilung Beobachtung und Interpretation, nicht wahr?«
    »Es ist eher eine abteilungsübergreifende Kommission.«
    »Und was hat Ray gegen

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