Quarantaene
DingDong ungeöffnet neben seiner Kaffeetasse hatte liegen lassen. Sie bemerkte ihn, sah dann Ray mit einem Gesichtsausdruck an, der besagte: Das soll wohl ein Scherz sein. Er fühlte das Blut in seine Wangen schießen.
»Vielleicht sollten Sie mal mit dem Reinigungspersonal sprechen«, sagte Sue.
Jetzt wollte er nur noch, dass sie wieder verschwand. »Ja, na gut, schätze, es ist nicht so wichtig … ich hätte es gar nicht erwähnen sollen …«
»Oder mit der Sicherheit. Sie kriegen ja nachher Besuch von Schulgin.«
Unterdrückte sie ein Grinsen? Konnte es sein, dass sie ihn auslachte? »Danke«, sagte er angespannt.
»Sonst noch etwas?«
»Nein.« Verschwinde, verdammt noch mal! »Schließen Sie bitte die Tür.«
Sie schloss sie sanft. Ray hatte die Vorstellung, ihr Lachen würde hinter ihr herschweben wie ein leuchtend rotes Band.
Ray hielt sich für einen Realisten. Er wusste, dass bestimmte Aspekte seines Verhaltens von denen, die ihm übel wollten (und die Zahl seiner Feinde war Legion), als frauenfeindlich bezeichnet werden konnten. Aber er hasste die Frauen nicht. Ganz im Gegenteil: Er gab ihnen jede Möglichkeit, sich zu rehabilitieren. Das Problem war nicht, dass er keine Frauen mochte, sondern dass er beständig von ihnen enttäuscht wurde. Zum Beispiel Marguerite. (Immer wieder Marguerite, auf ewig Marguerite …)
Um zehn kam Ari Weingart mit einer ganzen Reihe von Vorschlägen zur Stärkung der Moral. Cayti Lane von der PR-Abteilung wollte einen lokalen Videoring für Nachrichten und Gesellschaftliches aufmachen – Blind-Lake-TV sozusagen, mit ihr selbst als Moderatorin. »Ich finde, das ist eine gute Idee«, sagte Ari. »Cayti ist gescheit und fotogen. Was ich außerdem gern tun würde: die jeweiligen Downloads, die die Leute in ihren Hausservern gespeichert haben, in einem großen Pool zu sammeln, damit wir sie neu senden können. Also ein Fernsehprogramm nach festen Zeiten, ohne freie Wahl, so wie früher, im 20. Jahrhundert; das könnte den Zusammenhalt fördern. Oder zumindest den Leuten ein bisschen Gesprächsstoff geben für die Arbeitspausen.«
Schön. Das alles war gut und schön. Ari regte ferner eine Diskussions- und Vortragsreihe an, die Samstagabends im Gemeindezentrum stattfinden könnte. Auch dies völlig in Ordnung. Ari versuchte offensichtlich, die Folgen der Isolation mit den Mitteln der Gemeindearbeit abzumildern. Das sollte er ruhig tun, dachte Ray. Sollte er die jammernden Insassen doch mit Shows und Kokolores ablenken. Letzten Endes war aber dieser ganze Verbesserungseifer furchtbar ermüdend, und so war es eine wahre Erleichterung, als Ari endlich sein Grinsen wieder einpackte und sich verabschiedete.
Ray zählte noch einmal seine DingDongs.
Natürlich konnte es auch Sue gewesen sein, die in seinen Schreibtisch eingebrochen war. Nichts deutete darauf hin, dass sich jemand am Mechanismus zu schaffen gemacht hatte – vielleicht war er so unachtsam gewesen, den Schreibtisch nicht abzuschließen, und sie hatte aus diesem Konzentrationsfehler Kapital geschlagen. Sue hatte oft länger gearbeitet als er, vor allem, wenn Tessa unter seiner Obhut stand; anders als Marguerite ließ er seine Tochter nämlich nach der Schule nicht gern allein im Haus. Ray kam zu dem Schluss, dass Sue die Hauptverdächtige war, wenngleich man auch das Reinigungspersonal nicht gänzlich vom Verdacht freisprechen konnte.
Männer waren im Umgang einfacher als Frauen. Bei Männern kam es nur darauf an, sie laut genug anzureden, um sich ihre Aufmerksamkeit zu sichern. Frauen waren verschlagener, fand Ray, scheinbar nachgiebig, aber man konnte sich nicht drauf verlassen. Ihre Loyalität war nur vorläufig, stand allzu leicht wieder zur Disposition. (Siehe zum Beispiel Marguerite …)
Wenigstens würde Tessa sich nicht zu so einer Sorte Frau entwickeln.
Dimi Schulgin, sehr elegant in einem maßgeschneiderten grauen Anzug, erschien um elf, eine willkommene Ablenkung, obwohl er lauter unheilvolle Neuigkeiten brachte. Schulgin war ein Meister der baltischen Undurchdringlichkeit, sein käsiges Gesicht ließ keinerlei Ausdruck erkennen, als er die Stimmung beschrieb, die unter den Tagesarbeitern und Festangestellten herrschte. »Sie haben die Isolierung so lange ertragen«, sagte Schulgin, »ohne viel Probleme zu machen, wahrscheinlich weil sie gesehen haben, was mit dem unglücklichen Mr. Krafft passiert ist, als er auszubrechen versuchte. Das kann man, glaube ich, im Nachhinein als Segen
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