Quarantaene
bezeichnen. Die Leute sind gefügig, weil sie Angst haben, aber die Unzufriedenheit wächst. Die vorübergehend Beschäftigten und das technische Personal sind zahlenmäßig fünfmal stärker als die Wissenschaftler und Verwaltungsleute, wissen Sie. Viele von ihnen fordern Mitsprache im Entscheidungsprozess und nicht wenige würden gern das Auge abschalten und sehen, was dann passiert.«
»Das ist alles Gerede«, sagte Ray.
»Bisher ist alles Gerede, ja. Aber auf lange Sicht – falls die Abriegelung weiter aufrecht erhalten wird –, wer weiß?«
»Wir sollten etwas Positives tun und dafür sorgen, dass alle es mitkriegen.«
»Wenn man den Eindruck erwecken könnte, dass etwas unternommen wird«, sagte Schulgin mit seinem geschwollenen Akzent, der jegliche Ironie zuverlässig kaschierte, »wäre das hilfreich.«
»Wissen Sie«, sagte Ray, »mein Schreibtisch ist kürzlich aufgebrochen worden.«
»Ihr Schreibtisch?« Schulgins raupenartige Augenbrauen zuckten nach oben. »Aufgebrochen? Also Vandalismus, Diebstahl?«
Ray winkte mit einer Geste ab, die Großmut signalisieren sollte. »Eine triviale Sache, bestenfalls Bürovandalismus, aber es hat mich zum Nachdenken gebracht. Wie wär’s, wenn wir eine Untersuchung einleiten würden?«
»Eine Untersuchung des Vandalismus an Ihrem Schreibtisch?«
»Nein, um Himmels willen, der Isolierung.«
»Eine Untersuchung? Wie sollen wir das machen? Alle Hinweise befinden sich auf der anderen Seite des Zauns.«
»Nicht unbedingt.«
»Das müssen Sie mir erklären.«
»Es gibt eine Theorie, die besagt, dass wir abgeriegelt werden, weil irgendetwas in Crossbank passiert ist, etwas Gefährliches, etwas, das mit ihren O/BEKs zu tun hat, etwas, das genauso gut hier passieren könnte.«
»Ja, weswegen auch die Forderung immer lauter wird, unsere eigenen Prozessoren abzuschalten, aber …«
»Vergessen Sie mal für einen Moment die O/BEKs. Denken Sie an Crossbank. Falls Crossbank ein Problem hatte, müssten wir dann nicht davon gehört haben?«
Schulgin überlegte. Er rieb sich mit dem Finger über die Nase. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Alle höheren Verwaltungsleute waren in Cancun, als die Tore geschlossen wurden. Sie wären die Ersten gewesen, die es erfahren hätten.«
»Ja.« Sanft trieb Ray den Gedanken auf seine Schlussfolgerung zu. »Aber es könnten Nachrichten auf ihren Personal-Servern eingegangen sein, bevor die Quarantäne in Kraft trat.«
»Dringende Sachen wären weitergeleitet worden …«
»Aber Kopien davon wären noch immer auf den Blind-Lake-Servern, nicht wahr?«
»Na ja … vermutlich. Es sei denn, jemand hätte sich die Mühe gemacht, sie zu löschen. Aber wir können nicht einfach in die Personal-Server des Leitungspersonals reingehen.«
»Nicht?«
Schulgin zuckte die Achseln. »Das würde ich jedenfalls denken.«
»Unter normalen Umständen würde sich die Frage gar nicht stellen. Die Umstände sind freilich alles andere als normal.«
»Die Server knacken, ihre Mails lesen. Ja, das ist interessant.«
»Und falls wir irgendetwas Nützliches finden, sollten wir es auf einer Generalversammlung verkünden.«
»Falls es etwas Verkündenswertes gibt. Außer Voicemails von Ehefrauen oder Geliebten. Soll ich mal mit meinen Leuten reden, mich erkundigen, wie schwierig es wäre, in die Server reinzukommen?«
»Ja, Dimi«, sagte Ray. »Tun Sie das.«
Je mehr er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm das Vorhaben. Als er zum Mittagessen ging, hatte sich seine Laune entschieden gebessert.
Rays Stimmungen waren jedoch höchst unbeständig, und abends, beim Verlassen der Plaza, war er schon wieder reichlich angefressen. Die Sache mit den DingDongs. Sue hatte die Geschichte wahrscheinlich ihren Freundinnen in der Cafeteria weitererzählt. Jeder Tag brachte eine neue Demütigung. Er aß halt gern DingDongs zum Frühstück: Was war daran so verdammt lustig, so zum Lachen anomal? Alles Arschlöcher, dachte Ray wütend.
Er fuhr vorsichtig durch heftige Schneeschauer, versuchte ohne großen Erfolg, die Ampeln an der Hauptstraße abzupassen.
Ja, die meisten Leute waren Arschlöcher, und genau das wollten die Exokulturtheoretiker einfach nicht kapieren, Leute wie Marguerite, blinde kleine Federgewichtsoptimisten. Eine Welt voller Arschlöcher war ihnen noch nicht genug. Sie wollten noch mehr. Sie wollten ein ganzes lebendiges Arschloch von einem Universum, einen glänzend rosafarbenen, organischen Kosmos, einen Zauberspiegel, aus dem ein
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