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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
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anderen (zu denen auch Marguerite gehörte) glaubten fest, dass das Verhalten des Subjekts signifikant war und bis zu Ende verfolgt werden sollte. Die Technologie und Artefakten- Leutehatten Angst, ihren urbanen Kontext zu verlieren, aber die Astrogeologen und Klimatologen begrüßten die Aussicht auf einen langen Ausflug in die Wüste und die Berge. Die verschiedenen Kommissionen zankten sich wie die Marktweiber und in Abwesenheit der leitenden Wissenschaftler sowie in Ermangelung einer Verbindung nach Washington gab es keine vorgezeichnete Möglichkeit, den Konflikt zu lösen.
    Letzten Endes würde man von ihm, Ray, erwarten, die Richtung zu weisen. Aber er wollte diese Verantwortung nicht ohne ausgiebige Beratung auf sich nehmen. Ganz gleich, welche Entscheidung er traf, er würde sich früher oder später gezwungen sehen, sie zu verteidigen. Und diese Verteidigung sollte wasserdicht sein. Er musste in der Lage sein, Namen und Dokumente anzuführen, und sollten einige von den hitzköpfigeren Parteigängern dieser oder jener Haltung meinen, er würde sich »vor einer klaren Entscheidung drücken« – und eben diese Formulierung war ihm bereits zu Ohren gekommen –, nun, sei’s drum. Er hatte alle Seiten gebeten, Positionspapiere zu erstellen.
    Da sollte man doch den Tag am besten in positiver Stimmung beginnen. Ray faltete eine Papierserviette auseinander und zückte seinen Schlüssel, um die unterste Schublade seines Schreibtisches aufzuschließen.
    Seit Beginn der Abriegelung verwahrte Ray einen Vorrat an DingDongs in dieser Schreibtischschublade. Es war zwar peinlich, es zuzugeben, aber er hatte nun mal eine Vorliebe für Backwaren, und ganz besonders gerne aß er eben DingDongs zu seinem Morgenkaffee, und auf die unvermeidlichen Klugscheißerkommentare von wegen Polysorbat 80 und »leere Kalorien« konnte er ohne Weiteres verzichten. Es war ihm ein sinnliches Vergnügen, die spröde Verpackung aufzureißen, denn er mochte den Geruch nach Zucker und Stärkemehl, der daraus aufstieg; er mochte die klebrige Konsistenz des Gebäcks, die Art, wie der Kaffee den leicht chemischen Nachgeschmack vom Gaumen abzog.
    Aber in der wöchentlichen Lieferung des schwarzen Lasters waren keine DingDongs enthalten. Ray war dreist genug gewesen, den verbliebenen Bestand vom örtlichen Lebensmittelhändler und dem Kiosk in der Eingangshalle der Plaza aufzukaufen. So hatte er sich einen Vorrat von einigen Kartons gesichert, doch auch der ging inzwischen zur Neige. Soweit Ray es beurteilen konnte, befanden die letzten sechs DingDongs in der gesamten unter Quarantäne befindlichen Gemeinde von Blind Lake sich gegenwärtig in seiner Schreibtischschublade. Danach – nichts mehr. Kalter Entzug. Sicherlich, dran sterben würde er nicht, aber es fuchste ihn, durch diesen fortlaufenden bürokratischen Murks, diese endlose stumme Abriegelung, zum Verzicht gezwungen zu werden.
    Er zog einen DingDong aus der Schublade. Einen wegnehmen, bleiben noch fünf, die Ration einer Arbeitswoche.
    Er konnte aber nur vier Päckchen ausmachen, die sich dort im Dunkeln verkrochen hatten.
    Vier. Er zählte noch einmal. Vier. Er suchte die Schublade mit der Hand ab. Vier.
    Es hätten fünf sein müssen. Hatte er sich verrechnet?
    Für einen Moment saß er reglos da, verarbeitete diese unerfreuliche Information, entwickelte eine solide, rechtschaffene Wut. Dann rief er Sue Sampel über den Summer und bat sie in sein Büro.
    »Sue«, sagte er, als sie in der Tür auftauchte. »Haben Sie zufällig einen Schlüssel zu meinem Schreibtisch?«
    »Zu Ihrem Schreibtisch?« Ihre Überraschung über diese Frage war entweder echt oder sehr gut gespielt.
    »Als ich hierher kam, haben die Leute vom technischen Personal mir nämlich versichert, dass meiner der einzige Schlüssel wäre.«
    »Haben Sie ihn verloren? Es muss doch irgendwo einen Generalschlüssel geben. Oder man könnte die Schlösser auswechseln lassen, nehme ich an.«
    »Nein, ich hab ihn nicht verloren.« Der Ton seiner Stimme ließ sie zusammenzucken. »Ich habe den Schlüssel hier. Es ist etwas gestohlen worden.«
    »Gestohlen? Was denn?«
    »Es spielt keine Rolle, was gestohlen wurde. Zufällig war es nichts besonders Wichtiges. Worauf es ankommt, ist, dass sich jemand ohne mein Wissen Zugang zu meinem Schreibtisch verschafft hat. Die Bedeutung dieses Vorgangs müsste selbst Ihnen einsichtig sein.«
    Sie warf einen verstohlenen Blick auf seinen Schreibtisch. Zu spät erkannte Ray, dass er den heutigen

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